Eva Blome: Reinheit und Vermischung. Literarisch-kulturelle Entwürfe von »Rasse« und Sexualität (1900–1930)

Wien: Böhlau 2011 – ISBN 978-3-4122-0682-6 – 44,90 €

In den vergangenen 15 Jahren hat sich die germanistische Literaturwissenschaft zunehmend für Fragestellungen geöffnet, wie sie die Diskussion (post-)kolonialer Zusammenhänge im angloamerikanischen Raum schon viel länger prägen. Diese unter anderem durch einschlägige Arbeiten von Sander L. Gilman, Susanne Zantop und Russell Berman angestoßene Öffnung war überfällig, und es ist zu begrüßen, wenn sie fortgesetzt und intensiviert wird. Die Dissertation von Eva Blome verbindet die literaturwissenschaftliche Erfassung des deutschen (Post-)Kolonialismus mit der Analyse der unterschiedlichen Rassismen deutscher Prägung (die ihrerseits ein sehr viel älteres Forschungsthema darstellen). Mit Darstellungen von ›Rassenmischung‹ in deutschsprachigen (größtenteils) literarischen Texten sind einerseits semantische Verschaltungen von Rassentheorie und Sexualität, andererseits ästhetische Kodierungen von (Re-)Produktivität und kultureller Hegemonie Thema das Buches.

Drei theoretische Überlegungen leiten die Untersuchung: Zum Ersten zeigt sich immer wieder, dass die Abgrenzung ›reiner Rassen‹, gleich auf welcher Ebene sie ansetzt, immer schon die Möglichkeit ihrer Vermischung voraussetzt – und damit ›Reinheit‹ entgegen ihrer erklärten Intention nie als essentiell begreifen kann. (Ob das, wie die Verfasserin meint, tatsächlich eine ›Paradoxie‹ im eigentlichen Sinne des Wortes darstellt, sei dahingestellt.) Zum Zweiten geht Blome davon aus, dass die Grenzziehung zwischen ›Rassen‹, insofern sie als Grenzziehung zwangsläufig zugleich eine Grenzüberschreitung darstellt, als Programm oder Thema einen literarischen Text ›sujet-haltig‹ im Sinne Lotmans werden lässt. Die Arbeit interessiert sich für die je unterschiedliche Konfiguration dieses Textereignisses, das die ästhetische Kodierung von ›Rassenmischung‹ und ›-reinheit‹ ermöglicht. Zum Dritten schließt die Arbeit immer wieder an Theoriefiguren an, die spätestens seit der Gründung des Konstanzer Graduiertenkollegs, in dem die Arbeit entstanden ist, als ›Figuren des Dritten‹ verhandelt werden; als eine solche Figur erscheint der ›Mischling‹, der von seiner dritten Position aus die innere Widersprüchlichkeit der Vorstellung ›reiner Rassen‹ unterläuft.

Die eigentliche Untersuchung gliedert sich in drei Teile, und schon mit dieser Dreiteilung verbindet sich eine These. In einem ersten Teil untersucht die Verfasserin literarische Texte, die unterschiedliche biopolitische und/oder exotistische Programmatiken vertreten und in diesem Zusammenhang insbesondere ›Rassenmischung‹ thematisieren. Charakteristisch für diese Texte aus dem Zeitraum zwischen 1900 und 1914 ist, dass sie – allerdings in sehr unterschiedlicher Weise und vor dem Hintergrund unterschiedlicher geopolitischer Lagen – die ›Rassenmischung‹ als Dystopie konfigurieren oder sich zumindest als Symptom solcher dystopischen Konfigurationen lesen lassen: In Gabriele Reuters Briefroman Margaretes Mission (1904) werden verschiedene Konstellationen des ›rassenübergreifenden‹ sexuellen Kontakts imaginiert oder vollzogen, aber schließlich geht aus alledem ein stabiles deutsches Paar hervor; die ›Rassenmischung‹ erscheint als immer präsente Versuchung, die vor allem auf Grund kultureller Befindlichkeiten eingehegt und von der ›Reinigung‹ gesucht werden muss. Bei Hans Grimm wird dieses Motiv radikalisiert: Die sexuelle Beziehung eines weißen Kolonisators zu einer ›gemischtrassigen‹ Frau erscheint als Grundlage seines Kulturverlusts (seiner ›Verkafferung‹), die nur von einer weißen Frau als ›boundary marker‹ unterbunden werden kann (Wie Grete aufhörte ein Kind zu sein [1913]). Umgekehrt zeigt Willy Seidels Yali und sein weißes Weib (1914), dass die weiße Frau vom sexuellen Kontakt mit anderen ›Rassen‹ allein schon deshalb ausgeschlossen ist, weil sie dann diese Funktion nicht mehr erfüllen kann. Ähnlich wie in Max Dauthendays Den Abendschnee am Hirayama sehen (1911) kann von dieser Konstellation aber nur die Rede sein, insofern zugleich ihre eigentliche Unmöglichkeit und Fiktivität erzählerisch herausgestellt wird.

Anders als die programmatisch-biopolitischen Texte aus dem Zeitraum bis 1914 wenden die Texte aus der Zeit zwischen 1915 und 1919, die der zweite Teil der Arbeit untersucht, die Thematik der Rassenmischung ästhetisch. Darin lehnen sie sich an ältere Entwürfe an, wie sie die Verfasserin etwa bei Friedrich Nietzsche und Heinrich Mann findet. Der sexuelle Verkehr mit Frauen anderer ›Rassen‹ wird Anlass für männliche Utopien einer neuen, ursprünglicheren ästhetischen Produktionsfähigkeit, etwa in Robert Müllers Roman Tropen (1915). Die Tropen werden hier als Ort der produktiven (sexuellen und künstlerischen) (Rassen-)Vermischung ausgewiesen – und zwar in bewusster Parallele zum rhetorischen Begriff des Tropos als Vermischung unterschiedlicher Bildbereiche. Das ästhetische Programm Müllers sieht dabei offenbar vor, dass die Idealposition des ›gemischten‹ Künstlers, der die alte, in der ›primitiven Rasse‹ bewahrte Imagination mit der Moderne verbindet, nur dann produktiv gemacht werden kann, wenn sie selbstvergessen besetzt wird. Hier lässt sich vielleicht ein Bezugspunkt zu Klabunds Langgedicht Der Neger (1917) sehen, das den Akt der Entjungferung/Vergewaltigung durch den potenten »Neger» zum Symbol einer künstlerischen Grenzüberschreitung erhebt, die eine absolute Differenzlosigkeit herstellt. Schwankt Müller in Tropen ebenso wie in dem späteren, ebenfalls ausführlich behandelten Roman Das Inselmädchen (1919) zwischen einer biologischen und einer geistigen Bestimmung von ›Rasse‹, so ist der Zug hin zu einem imaginativ-ideellen Rassenbegriff in Carl Sternheims Erzählung Ulrike (1916/17) noch deutlicher auszumachen. Der Text zeichnet nach, wie sich eine brandenburgische Landadelige in die sich zunehmend einer anderen ›rassischen‹ Identität annähernden Geliebte eines primitivistischen Künstlers verwandelt; diese Darstellung eines »Race Transvestism« (S. 200) betreibt laut Blome nicht nur die satirische Entlarvung des künstlerischen Primitivismus, sondern teilt durchaus dessen Wertschätzung eines ›Urgrunds des Menschlichen‹, den in gewisser Weise gerade auch das ›alte Geschlecht‹ der preußischen Adelsfamilie verkörpert – so dass die ›rassische Transformation‹ in Wirklichkeit eine Rückkehr zur eigenen ›rassischen Identität‹ darstellt.

Die wohl bemerkenswerteste Beobachtung der Arbeit liefert der Übergang zum dritten Teil der Arbeit: Blome zeigt, dass sich die Tendenz der primitivistischen Texte, ›Rasse‹ zunehmend als imaginäres Konstrukt zu fassen und an eine Willensentscheidung zu binden, gerade in rassentheoretischen Schriften der 1920er Jahre wiederfindet, die (mal mehr, mal weniger eindeutig) der nationalsozialistischen Rassenideologie den Weg bereitet haben – von Oswald Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1918/1922) über Hans F.K. Günthers Rasse und Stil (1926), Paul Schultze-Naumburgs Kunst und Rasse (1928) bis hin zu Alfred Rosenbergs Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930) mit seiner fatalen Engführung von ›Rasse‹, ästhetischem Formwillen und Eugenetik, der dem ›Jüdischen‹ jeglichen Formwillen abspricht und es so als ›Unrasse‹ konstruiert. Wollen die primitivisten Rassenimaginationen zu kreativen Zwecken nutzbar machen und aus der Vermischung ästhetischen Gewinn schlagen, so folgt für diese Autoren aus der sich mehr und mehr abzeichnenden wissenschaftlichen Unhaltbarkeit einer biologischen Grundlegung von Rassendifferenzen gerade nicht, dass diese Differenzen keine Rolle spielen sollten, sondern nun gerade imaginär forciert werden können und müssen.

Zwar bleibt offen, welche Konsequenzen aus der Parallele proto-nationalsozialistischer und primitivistischer Rassenkonzepte letztlich zu ziehen wären. Festzuhalten aber ist zum einen, dass spätestens in dem 1920er Jahren Semantiken an Attraktivität gewinnen, die Vorstellungen einer durch organologische Zusammenhänge wirkende Determinierung und ästhetisch-politische Machbarkeitsphantasien miteinander verbinden. Und zum anderen, dass Sexualität vor diesem Hintergrund als zentraler Steuerungsmechanismus sowohl einer rassenideologischen Eugenetik als auch einer künstlerisch-produktiven Funktionalisierung dienen kann. Das vielleicht interessanteste Beispiel, das Blome hierfür bringt, ist Fritz Gieses Essay Girlkultur (1925). In seiner Beschreibung der (weißen) modernen Tanzkultur in den USA wird zum einen herausgestellt, dass das kulturell Innovative dieses Tanzes, sein Rhythmus, nur auf der Grundlage des kulturellen Austausch zwischen unterschiedlichen ›Rassen‹ freigelegt werden konnte: Es handelt sich um afrikanische Rhythmen, die gerade die Unterdrückungserfahrung der Afrikaner in der neuen Welt hervorgebracht hat (durchaus im Sinne einer organologischen Determinierung). Zum anderen folgt daraus aber gerade nicht, dass um der kulturellen Innovation willen eine ›Vermischung der Rassen‹ wünschenswert sei; vielmehr soll die kulturelle Innovation von einer weißen Rasse fortgetragen werden, die sich ›rein‹ hält und deshalb kulturell produktiv bleibt – Ästhetik steht hier im Dienst einer eugenetischen Machbarkeitsphantasie.

Kritisch einwenden ließe sich, dass die Verfasserin diese zentrale Beobachtung nicht ins Zentrum der Betrachtung rückt. Der historische Dreischritts, der die Gliederung der Arbeit organisiert, erweckt dagegen den Eindruck, als habe es eben bis 1914 nur programmatisch-kolonialistische Beschäftigungen mit dem Thema der Rassenmischung gegeben, danach bis kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs diejenigen eines literarischen Primitivismus – und so weiter. Dass dem so nicht ist, machen die historischen Ausgriffe der Autorin auf frühere und spätere Zeiten in fast allen Teilen unmittelbar deutlich. Gerade an der Unterscheidung zwischen ›programmatischen‹ und ›ästhetischen‹ Texten machen sich auch die leichten begrifflichen und methodischen Schwächen der Arbeit bemerkbar – denn nicht nur muss man fragen, inwiefern ästhetische nicht immer auch programmatische Texte sind (und umgekehrt), sondern auch die unbefangene Rückführung von Programmatiken auf Autorintentionen, die der Verfasserin immer wieder unterläuft, ist methodisch zumindest schwierig. Gerade aber die von Blome sozusagen im Vorbeigehen aufgezeigte bemerkenswerte Konjunktion von biologistisch-deterministischem Rassendiskurs und sexuellem wie ästhetischen Machbarkeitsbewusstsein sollte, gerade weil sie totalitäre Konsequenzen haben kann, aber nicht muss, viel stärker im Zentrum kulturtheoretischer und wissenschaftlicher Forschung stehen. Überhaupt wäre die Partizipation des Kulturkonzepts an der Beschreibung menschlicher Kreatürlichkeit und Materialität weiter auszuleuchten. Das von Blome vorgestellte Material liefert viele Anlässe dazu.

Till Dembeck