Action at a distance

Nichtlokalität in archaischen Kulturen, in der europäischen Renaissance und in den modernen Naturwissenschaften

Monika Schulz

Abstract

Action at a distance has been documented in archaic-magical texts (e.g. ›Fernzauber‹) for almost five thousand years. The following outline adduces explanatory models from different cultural contexts reaching from the Ancient Orient to the natural philosophical atomistic theories of the Renaissance. »Spooky action at a distance« (Einstein) can also be found in modern natural sciences, whereas the experimental descriptions of e.g. quantum physics or biology are remarkably similar to a »Theory of magic« (Mauss).

In Tausenden von Beschwörungen vom Alten Orient bis in die Neuzeit1 erscheint die Nichtlokalität als selbstverständliches Konzept. Nichtlokalität ist jedoch auch ein Phänomen, das die Quantenphysik in den EPR-Experimenten beschreibt und das Einstein bekanntlich als »spukhafte Fernwirkung« kommentierte. Es geht in beiden Fällen sehr vereinfacht darum, dass Teile eines Ganzen (Magie) bzw. verschränkte Teilchen, z.B. ein Photonenpaar (Quantenphysik), bei Trennung keine voneinander unabhängige Existenz führen. In der Magie ist das eine konzeptuale Prämisse, in der Quantenphysik ein über ein akustisches Signal (Klick des Detektors) beobachtbares Phänomen. Beide, die Magie als Totalität beanspruchendes altes System einer Welt- bzw. Kontingenzbewältigung, die Quantenmechanik als moderne physikalische Theorie mit experimenteller Evidenz, generieren offenbar – zumindest aus neuzeitlicher Sicht – massive Realitätsprobleme. Die Magie gilt als irrational (was sie beileibe nicht ist), und die Quantenphysik versucht z.B. den in der Nichtlokalität implizierten »Widerspruch zur ontologischen Komponente […] des wissenschaftlichen Realismus« (Ijjas 2011: 115) mit Hilfe eines »probabilistische[n] Realitätskriterium[s]« (ebd.) aufzulösen.

Das Folgende ist als Versuch zu lesen, scheinbar sehr weit voneinander Entferntes, trotz massiver Unschärfen, zusammenzudenken. Die Ausführungen gliedern sich in ihren großen Bezügen wie folgt: Darstellung der Nichtlokalität in ausgewählten archaischen Kontexten; Attractio similium/Korpuskeltheorie bei Bacon und Digby, Action at a distance in der Quantenphysik und »morphische Resonanz« in der Biologie.

1. Archaische Kulturen Emanationskonzepte

1.1 »me« Alter Orient

Archaisches Denken liefert basale Konzepte, die Action at a distance durchaus rational plausibilisieren, während umgekehrt die moderne Physik den irritierenden experimentellen Befund einer »spukhaften Fernwirkung« im Nachhinein zu erklären sucht. Ersteres generiert dynamistische Modelle, und das meint hier Vorstellungen immerwährender Emanationen. Um solche Entwürfe (vorgestellt werden nur einige wenige Beispiele, ich gehe jedoch von einem ubiquitären Konzept aus) soll es im Folgenden gehen. Zunächst eine Handlungsbeschreibung eines durch eine Priesterin ausgeführten hurrischen Beschwörungsrituals mit dem Titel: »Wenn ich einen behexten Menschen wieder in Ordnung bringe«:2

[…] … Die Sünde ihm aber […] wischte ich weg und nahm ihm ›Gelbes‹ [weg] (und) wischte es weg, [und] wischte es mit Speltmehl weg. Und mit der ḫuriya-Substanz wischte ich seinen Körper ab, und ich nahm es ihm von seiner Person weg: Behexung, böse (Beschwörungs-)Worte […]. (Haas/ Thiel 1978: 44)

Selbst wenn man berücksichtigt, dass das Ritual erst durch das gesprochene Wort Wirkkraft erhält, es also eines bestimmten Setting bedarf (Beschwörer, Wort und Tat, Raum und Zeit), muss davon ausgegangen werden, dass ein solches magisches Abwischen, das außerordentlich weit verbreitet ist,3 ganz pragmatisch das Böse entfernen soll. Zugrunde liegt einem solchen Anspruch unter anderem die komplexe Konzeption der sogenannten me. Der pluralistische Begriff bezeichnet vereinfacht eine Qualität im Sinne einer Energie vitale, die »me« sind das, »was das Wesen der Dinge ausmachte« (Dijk 1971: 441), wobei dieses als transportabel und übertragbar gedacht wurde: Denn die »me« kann man ergreifen und »packen«, die Göttin Inanna rafft die »me« zusammen, besteigt mit ihnen das Himmelsschiff und fährt ab, sie kann auf schrecken-erregenden »me« reiten, man kann sie sich aneignen etc.4 Eigentlich aber beziehen sie sich auf abstrakte Begriffe.5 Im sumerischen Epos Inanna und Enki werden 100 Abstrakta genannt, die als »me« bezeichnet werden (Farber-Flügge 1973: 117f.): Es gibt »me« von Göttern und Tempeln, »me« in Ortsangaben, »me« in Personennamen, »me« ist aber auch »in ganz konkreten Dingen wie königlichen Insignien oder einem Tisch immanent vorhanden« (ebd.: 127), wie überhaupt immer mitzudenken ist, dass sich die Sumerer Abstrakta »sehr konkret vorgestellt« (ebd.: 117, Anm. 124) haben. Diese wurden zum Beispiel »ganz konkret als Attribute oder Insignien verstanden, die unter Umständen durch Leuchten oder abschreckendes Gleißen sichtbar werden konnten« (Farber 1990: 610). Solche Licht-Konzepte hatten offenbar auch später starke Akzeptanz: Hesse wies darauf hin, dass »in Stoicism the diffusion of reason, law, providence, and destiny throughout the universe was spoken of in terms of radiation from fire« (Hesse 1962: 77), und im Neo-Platonismus wurden religiöse Emanationsvorstellungen unter anderem »the radiation of light or heat from the sun« (ebd.), parallelisiert (man vergleiche hiermit Czerwinskis Beschreibung früher Formen von Reflexivität im Mittelalter, wonach Abstraktionen »als Strahlen und Leuchten« [Czerwinski 1989: 43] erscheinen).

In der altorientalischen Forschung wurde hinsichtlich der genannten me konkret auch von Aura gesprochen, eine allem Existenten inhärente Kraft, die über die gedachte Abstrahlung substantielle Qualität entfalte. Jeder Mensch wurde »grundsätzlich mit einer letztendlich (fein)stofflich begriffenen Ausstrahlung oder Aura gedacht […], die sowohl negativ als auch positiv wirken konnte« (Maul 1994: 6). So stellte man sich z.B. den »Quell der unguten Zukunft […] als Materie vor, von der das ›Böse‹ (lumnu) wie ein Dampf oder ein Geruch abstrahlte, und sich dann auf den Menschen und sein Haus legte« (ebd.). Solche Konzepte liegen zugrunde, wenn in einem Epos (Lugalbanda II) die »dem Totenhaupt Huwawas noch anhaftenden ›Auren‹ (me-lìm) an sieben verschiedene Empfänger« (Edzard 1993: 541) verteilt werden. Die religionsgeschichtliche Forschung diagnostizierte eine »weitgehende Übereinstimmung« (Dijk 1971: 440) der »me« mit dem bekannteren melanesischen Konzept des »mana«, das ganz ähnlich die »eigentliche Wirksamkeit der Dinge« (Mauss 1989: 143) ist und übertragen werden kann: Das »mana« eines Steines etwa »bemächtigt sich des Menschen, der über jenen Stein hinwegschreitet oder dessen Schatten ihn berührt« (ebd.: 144).

Jedenfalls erlaubt die geglaubte Materialität einer wie auch immer gedachten Aura oder dergleichen (vgl. im christlichen Kontext die materiell vorgestellte Kraft von Berührungsreliquien mit »Gewichts- und Volumenzunahme aufgrund der Segensbereicherung« [Engemann 1975: 40]) oder eindeutig negativ konnotierter Miasmen als Teilidentitäten ihrer Träger, in Verbindung mit der Vorstellung einer Übertragbarkeit durch emanationsähnliche Prozesse buchstäblich weitreichende Manipulationen (Working at a distance). Wird die böse Verhexung bzw. Beschwörung als substanzhaftes »covering«6 aufgefasst, allmählich diffundierend in das Opfer und es verderbend, so sind technomorphe Prozeduren durchaus sinnhaft.

Emanationsentwürfe, wie sie gerade skizziert wurden, sind die Basis jener Konzepte der Kontiguität und Participation mystique, die allen bekannten magischen Handlungen über Jahrtausende vorausgesetzt sind und ein Acting at a distance in bestimmter Hinsicht geradezu einfordern. Cassirer hat die räumliche Kontiguitätsvorstellung eines archaischen Denkens dahingehend beschrieben, dass, was einmal eine »Berührung eingegangen ist […] für immer zu einer magischen Einheit zusammen[wächst]. Das bloße räumliche Beieinander hat […] stets reale Folgen« (Cassirer 1984: 48); Mauss sprach z.B. hinsichtlich des gedachten Bandes von Mörder und Opfer (die Wunden bluten, wenn sich der Mörder dem Opfer nähert, ein Paradebeispiel einer gedachten Fernwirkung) von einer »sympathetischen Kontiguität« (Mauss 1989: 99).

Das Pars-pro-Toto-Prinzip der Magie lese ich als Sonderfall der Kontiguität in dem Sinne, als das Verhältnis von Teilen zu ihrem Ganzen stets auch die Vorstellung eines immerwährenden Kontakts bedingt. Im ethnografischen Kontext war es Lévy-Bruhl, der den plastischen Begriff des »Zubehörs« prägte im Sinn eines erweiterten Persönlichkeitsbegriffs: »Die Haare und Absonderungen eines Menschen und ähnliche Produkte seines Körpers sind ganz so er selbst, wie etwa seine Füße, seine Hände, sein Herz oder sein Kopf. Sie ›gehören zu ihm‹ im vollsten Sinne des Wortes« (Lévy-Bruhl 1956: 110). Ähnlich dann auch Mauss: »Die Trennung zerreißt die Kontinuität nicht […] die Persönlichkeit eines Wesens ist ungeteilt und sitzt als ganze in jedem seiner Teile« (Mauss 1989: 98). Am bekanntesten sind die außerordentlich verbreiteten Vorstellungen hinsichtlich des sogenannten »bösen Blicks«, der als substanzhaft aufgefasst wurde. Diese Substanz wurde z.B. als ausstrahlender feindlicher Glanz gesehen wie die folgende mesopotamische Beschwörung zeigt:

Schlimm ist das Auge, das Auge ist böse, das Auge ist feindlich! … das Auge zieht aus, bekleidet ist es mit dem Glanze eines Feindes […] Augen des Blickens, Augen des Blickens, Augen des sich Drehens, zwei Augen! Ist das Auge in Bösem, dann schreit das Tor, die Schwellen erdröhnen, die Balken zittern! In dem Hause, in das es eintritt, nimmt das Auge alles weg! Beim Töpfer zerschlägt es seinen Ofen, beim Schiffer läßt es sein Schiff versinken, beim Stier, dem starken, zerbricht es sein Joch, beim männlichen Esel, der dahin wandert, zerbricht es sein Wadenbein, bei der Weberin, der kundigen, zerbricht es ihren Webschaft. (Zit. n. Ebeling 1949: 204)7

Archaisches Denken geht also von einer Transmission zwischen dem Ganzen und seinen Teilen aus, sorgfältig müssen die Appartenances, die auch benutzte Gegenstände einschließen, gehütet werden, da ein übelwollender Impuls auf ein Teil negative Folgen im ganzen System zeitigt; in diesem Sinn ist die folgende Anweisung der Priesterin Allaituraḫ(ḫ)i zur magischen Reinigung Šuppiluliyamas zu lesen:

reinigt sie, des Šuppiluliyama Kö[rperteile]:

Wenn ihm jemand Haar vom Kopfe nahm,

wenn ihm jemand Speichel des Mundes nahm,

wenn ihm jemand die Wahrnehmung der Augen nahm,

wenn ihm jemand Haare und Schmutz nahm,

wenn ihm jemand Schweiß des Körpers nahm,

wenn ihm jemand Schmutz von Händen (und) Füßen nahm,

wenn ihm jemand den Saum des Rockes (nahm),

wenn ihm jemand das 1. der Schale des Tisches (nahm),

wenn ihm jemand Lehm des Wagenrades nahm. (Haas/Thiel 1978: 277)

Das hier mitagierende magische Wort ist seinerseits als selbstwirkende Entität zu verstehen, das ein defizitäres Jetzt in projektive Realitäten überführen konnte. Eine Theorie des magischen Worts soll hier nicht weiter verfolgt werden,8 ich will lediglich auf eine weitere konzeptionelle Kraft, im alten Ägypten beheimatet, hinweisen, die vordringlich auf das Wort gerichtet scheint. Gemeint ist »3ḫ = āch« mit der »komplexe[n] Bedeutung ›strahlen, licht sein, Geist sein‹« (Assmann 1991: 108): »[T]he word 3ḫ not only designates entities or beings, it is also used to denote their (spirit-)state and the power emanating from them« (Demaree 1983: 192); der »āch« als »personifizierter Sternenglanz« (Hannig 2009: 11), als Machtbegriff 9 ist also eine bewegliche Lebenskraft (vgl. Brunner 1983: 141). Das Nomen dazu ist »Āchu ›Strahlkraft, Geistmächtigkeit‹, das sich mit Vorliebe auf die Macht des Wortes bezieht« (Assmann 1991: 108). Solches erlaubt weitreichende Aktionen, etwa »in diesseitigen Handlungen götterweltliche Ereignisse zu vergegenwärtigen und die irdische Dingwelt mit Bedeutungen einer jenseitigen Sinnwelt zu überformen« (ebd.: 112).

1.2 »väki« – »luonto« – »haltia« Traditionelles Finnland/Karelien

Gut dokumentiert (jedoch wenig bekannt) sind dynamistische Vorstellungen auch innerhalb der traditionellen finnischen und karelischen Weltsicht. Stark-Arola hat anschaulich herausgestellt, dass hier das moderne westliche Körperkonzept mit den klar definierten sichtbaren Leibgrenzen nicht greift: »We must turn to concecpts borrowed from physics (dynamics and kinetics) – namely energy, force, and movement to conceive of a body in flux and motion« (Stark-Arola 2002: 69). Ihre Untersuchungen stützen sich auf »archival materials which reflect the centuries-old, possibly millennia-old world view of hunters, fishers and small-scale peasant farmers prior to the modern era« (ebd.: 67), wobei sie vor allem sogenannte Schlüsseltexte (»key texts«) fokussiert, in denen »informants themselves make explicit the logical links and draw the theoretical conclusions which form the basis of the researcher’s models of causality« (ebd.: 71).

Das dynamistische Konzept funktioniert hier ebenfalls vermittels verschiedener Emanationsquellen (ähnlich den genannten »me«, aber auch vergleichbar mit »mana« und »orenda«),10 wobei, wenn ich recht sehe, die prominenteste »väki« ist. Stark-Arola benutzt hierfür folgende Beschreibungstermini: »type of dynamistic force«, »impersonal ›power charge‹« (Stark-Arola 2002: 68), wobei der menschliche Körper als das Zentrum der väki-Vorstellung gedacht wird. Natur und Kultur (Tiere, Feuer, Wasser, Wald, Eisenwerkzeuge etc.) besitzen gleichermaßen nichtpersonale Kräfte (vgl. ebd.), die sich auf unterschiedliche Weise im menschlichen Körper via »Infektion« manifestieren können:

[…] the belief in the existence of a dynamistic component to the entities in the world and their capacity to ›infect‹ human beings. According to this belief, all beings and categories of beings carried within themselves power charges, and since some of these beings and categories were more powerful than others, they thus required special treatment. (Stark-Arola 1998: 119)

Die zugeschriebenen Kräfte können miteinander in Aktion treten. Das wird deutlich, wenn man z.B. die dynamistische Vorstellung von »luonto« hinzunimmt, eine Energie, die gedachterweise alle Menschen in bestimmter Ausprägung besitzen: Ein Mensch mit schwacher »luonto«-Kraft ist ängstlich und kann sich leicht durch von außen angreifende krankmachende »väki«-Kräfte anstecken, ein Magier ist durch starke »luonto«-Energie davor gefeit (vgl. Stark-Arola 2002: 74). Action at a distance lässt sich ebenso anhand der Konzeption von haltia belegen: Die »haltia«-Kraft kann sich (im Unterschied zu »luonto«) auch außerhalb des zugehörigen menschlichen Körpers (wenn auch unweit davon) aufhalten und sich vor oder hinter die Person begeben (ebd.: 75); zudem gilt, das nebenbei, dass »Haltias lived unseen in their surroundings, but could reveal themselves to humans in various forms, usually human or animal« (Stark-Arola 1998: 122). Die dynamistische Vorstellung wird anschaulich in einem Bericht, der Anfang des 20. Jhs. aufgezeichnet wurde und in dem eine weibliche Informantin über ihr haltia berichtet, das sich bewegt habe, um sie zu warnen, und zwar vor einer Ansteckung mit »forest-väki« bzw. »forest-nenä« aufgrund von Zauberei:

I came across three squirrels, first a rabbit, then three squirrels then after that a reindeer – the forest-nenä is on the move (I thought), but it didn’t infect me. My haltia began to stir inside me. The wife of Miina Kliimo had performed sorcery – the squirrels screeched and screeched. The forest was set in motion, that is certain… The old woman had visited our place and performed sorcery so that…

(1916. Latvajärvi. Paulaharju 7807. – »Mumblings of a woman from Latvajärvi«). (Stark-Arola 2002: 75)

Fasst man die Ergebnisse Stark-Arolas im Hinblick auf ein Acting at a distance zusammen, so ist das finnisch-karelische »dynamistic belief system«, das auf nichtpersonale Kräfte wie »väki« etc.11 setzt und in einem kosmologischen Beziehungsgeflecht situiert ist, von folgenden Eckdaten bestimmt: Ein Körper stellt keine begrenzte Entität dar, getrennt von seiner Umgebung, er ist »a field of energy emanating from the corporeal center« (Stark-Arola 2002: 69); es gibt so etwas wie eine Fernwirkung (Acting of a distance): Jemand/Etwas kann »›act‹ upon other bodies or objects, even though no physical contact took place« (ebd.); Gegenstände/Objekte/unbelebte Entitäten verfügen über Wirkkraft: »objects have agency« (ebd.: 70). Plätze/Örter können, werden sie zur Unzeit besucht oder nicht respektiert, »ärgerlich« reagieren und dem Menschen Augen- und Hautkrankheiten »schicken«.12

Action at a distance wird also innerhalb archaischer Denkkonzepte (Beispiele könnten vermutlich weltweit beigebracht werden) durch nichtpersonale Kräfte (»me«, »mana«, »väki«, »haltia« etc.) ermöglicht, die ihren Trägern innewohnen (bzw. diese umgeben) und Raum via Emanationsprozesse überwinden; eine ›Infektion‹, d.h. die Beeinflussung eines entfernten Subjekts/Objekts, erfolgt zudem über Kontiguitätsphänomene. Im Folgenden ist zu zeigen, wie solche Fernwirkungen generierenden Emanationskonzepte bei Francis Bacon und Sir Kenelm Digby, also in der europäischen Renaissance, durch atomistische Entwürfe sozusagen präzisiert werden.

2. Europäische Renaissance »Sympathetische Kontiguität« und Korpuskeltheorie

2.1 Francis Bacon

Bacon ist eine Art Bindeglied zwischen archaischem und mehr oder weniger wissenschaftlichem Denken. Sylva Sylvarum, seine große Naturgeschichte, 1627 veröffentlicht, zeigt das offenkundige Bemühen um wissenschaftliche Korrektheit: Am Schluss der über 400-seitigen Darstellung wird ein »Table of the Experiments« geboten, die 270 Titel akribisch auflistet. Im Kapitel Experiments in consort touching the secret virtue of sympathy and antipathy (Spedding u.a. 1963: 660–671) verteidigt er dann allerdings die Vorstellung, dass eine durch eine Waffe erzeugte Wunde geheilt werden könne, indem die Waffe [!] mit einer geeigneten Salbe bestrichen wird (vgl. ebd.: 670). Ein geradezu klassisches Beispiel also einer Action at a distance, das sich offenbar im 16. und 17. Jahrhundert großer Wertschätzung erfreute (vgl. Hesse 1962: 96). Die genannte Waffensalbe, die unter anderem Ingredienzien von einem toten Mann, einem Eber und einem Bären vorsieht (Bacon verweist diesbezüglich auf das Dispensatorium von Crollius), wirke nur auf der Waffe, nicht auf der Wunde selbst und »will cure in far shorter time than ointments of wounds commonly do« (Spedding u.a. 1963: 671).

Bacon bietet an dieser Stelle keine große Erklärung, sein Rezept ist allerdings im größeren Zusammenhang seines Überkapitels zu »transmission and influx of immateriate virtues« (ebd.: 640f.) zu sehen, das mit dem Hinweis auf Pythagoras einsetzt, wonach die Welt ein lebendiges Geschöpf mit Geist und Seele sei; demzufolge würde jeglicher Impuls auf irgendein Teil Effekte auf den ganzen Körper zeitigen, so dass »no distance of place, nor want or indisposition of matter, could hinder magical operations« (ebd.: 640). Bacons Anliegen ist es, sozusagen »natürliche« Formen der Transmission von magischen zu unterscheiden. In die Kategorie »working at distance« fallen bei ihm die »transmission or emission of the thinner and more airy parts of bodies; as in odours and infections«; »the transmission or emission of those things that we call spiritual species: as visibles and sounds«; »emissions which cause attraction of certain bodies at distance; wherein though the loadstone be commonly placed in the first rank«; das geht so weiter mit zum Teil durchaus physikalischen Phänomenen wie etwa der Gravitation und Radiation (vgl. ebd.: 643ff.) – bis Bacon zur sogenannten Sympathie kommt (die einer »natürlichen Magie« angehöre) und der »emission of immateriate virtues« (ebd.: 645). Der Autor meldet diesbezüglich zwar leise Zweifel an, doch sei die Sache von vielen verbürgt, und so kommt er schließlich zu folgender Einschätzung: »for as there is a sympathy of species, so (it may be) there is a sympathy […] in things, or the parts of things, that have been once contiguous or entire, there should remain a transmission of virtue from the one to the other: as between the weapon and the wound« (ebd.).

Bacons Glaube an die Waffensalbe gründet (neben dem Sympathie/Antipathie-Konzept) letztlich in seiner korpuskularen Theorie, die er in seiner Historia vitae et mortis wie folgt erklärt:

Neque enim cava rerum tangibilium vacuum recipiunt; sed aut aërem, aut spiritum rei proprium. Spiritus autem ille (de quo loquimur) non est virtus aliqua, aut energia, aut entelechia, aut nugæ: sed plane corpus tenue, invisibile; attamen locatum, dimensum, reale: neque rursus spiritus ille aër est (quemadmodum nec succus uvæ est aqua); sed corpus tenue, cognatum aëri, at multum ab eo diversum […]. (Ebd.: 213)

Diese Teilchen, »spirits«, sind immer in Bewegung: »they are never (almost) at rest« (ebd.: 381) – und das ist Voraussetzung seines Attraktions- bzw. Abstoßungskonzepts: »There be many things that work upon the spirits of man by secret sympathy and antipathy« (ebd.: 660). Kurz: Die Anleihen bei Demokrit sind nicht zu übersehen (vgl. dazu Rossi 1968: 14f.), wie denn überhaupt das frühgriechische Denken hinsichtlich einer Attractio similum bzw. des naturphilosophischen Prinzips des ὅμοιον-ὁμοιῳ entscheidenden Anteil haben dürfte (vgl. dazu Müller 1965: XII, 29, sowie Hesse 1962: 31).

2.2 Sir Kenelm Digby

Die atomistische Vorstellung hinsichtlich eines Acting at a distance wird deutlicher noch bei Sir Kenelm Digby13 in seiner schwer lesbaren, weil immer wieder abschweifenden und reichlich redundanten Abhandlung Of the Sympathetick Powder von 1657. Auch er bringt das Beispiel von Waffe und Wunde, jedoch variiert: Bei ihm wird nicht die Waffe behandelt, sondern das blutige Strumpfband des Verwundeten, das mit einer sympathetischen Lösung (dem »balsamischen« Vitriol) getränkt wird. Wunde und Behandlung des Kleidungsstücks sind aufeinander abgestimmt: Der starken Entzündung entspricht z.B. auch das Einlegen des Kleidungsstücks in ein durch die Sonne wohltemperiertes Wasserbassin mit Vitriol; die Erklärung läuft wie folgt:

the Sun and Light will attract, a great extent and distance off, the spirits of the blood upon the Garter […]; the Spirit of Vitriol, being incorporated with the blood cannot choose but make the same voyage together with the atoms of the blood, […]; the wounded hand expires and exhales, in the meantime, continually abundance of hot fiery Spirits, which stream as a river out of the inflamed hurt […]; the atoms of blood, finding the proper source and original root whence they issued, will stay there, re-entering into their natural beds and primtive receptacles: wheras the other air, being but a passenger, will evaporate away as soon as it comes […]. (Digby 1669: 198f.)

Kurz: Die »guten« Atome werden zurückgeführt, die krankmachenden verbannt und zwar durch sympathetische Attraktion.

Bei Bacon und Digby, die beide naturphilosophischen Theorien der Renaissance verpflichtet sind,14 bildet das Prinzip eines ὅμοιον-ὁμοιῳ, zusammen mit atomistischen Vorstellungen, das Erklärungskonzept eines Acting at a distance. Die Attractio similum ist vermutlich eine neuere Vorstellung, ursprünglicher scheint mir der Entwurf einer selbsttätig wirkenden Kontaktmagie genuin ungerichteter Kräfte (»me«, »väki«, »mana« etc.), die z.B. durch das (magische) Wort gepolt werden (vgl. Schulz 2000: 245ff.). Wie dem auch sei: Im Folgenden geht es darum, dass umgekehrt innerhalb der modernen Physik zwar ein Acting at a distance experimentelle Evidenz beanspruchen kann, die Erklärungsversuche jedoch, wenn ich recht sehe, in unterschiedliche Richtungen ausgreifen.

3. Moderne Naturwissenschaften »Spukhafte Fernwirkung« und »morphische Resonanz«

3.1 Die EPR-Experimente der Quantenphysik

Die EPR-Versuche gehen auf ein Gedankenexperiment von Albert Einstein, Boris Podolsky und Nathan Rosen (vgl. Einstein u.a. 1935) zurück, das seinerseits auf Heisenbergs Unschärferelation gründet. Deren bekannte Unmöglichkeitsformulierung in Bezug auf eine gleichzeitige Messbarkeit von Größen (Ort und Impuls) irritierte die Autoren und sie postulierten, dass »der quantenmechanische Formalismus […] unvollständig sein [müsse], auch wenn seine Korrektheit experimentell erwiesen wurde« (Ijjas 2011: 106). »Gott würfelt nicht«: Dieses bekannte Diktum Einsteins meint seine Absage an den Zufall. Ich komme zum Wesentlichen der späteren EPR-Experimente.

Es geht um sogenannte verschränkte Systeme wie sie Schrödinger als »das wesentliche Charakteristikum der Quantenphysik« (Zeilinger 2005: 67) bezeichnet hatte. Protagonist der Experimente ist z.B. ein verschränktes Photonenpaar, Licht-Quanten also, vom selben Atom ausgestrahlt, d.h. aus einer gemeinsamen Quelle stammend. Verschränkung heißt hier, dass die beiden Lichtphotonen im Hinblick auf ihre Polarisation (also die Schwingungsrichtung) komplementär sind: Ist das eine Photon horizontal polarisiert, so ist das andere »automatisch« vertikal gerichtet. Das Verblüffende ist, dass sich erst im Augenblick der Messung an einem der beiden Photonen herausstellt, in welcher Richtung es polarisiert ist, zuvor hat kein Photon eine festgelegte Schwingungsrichtung; es liegt also eine Superposition vor, die Möglichkeit zur horizontalen und zur vertikalen Polarisation. Wird ein solches Photonenpaar getrennt, hält es an dieser Superposition fest, wie weit die Entfernung auch immer sein mag. Erst im Moment der Messung realisiert sich eine Möglichkeit der Polarisation, das Partnerphoton nimmt augenblicklich die komplementäre Position ein. Kurz: Erfährt ein Licht-Teilchen (eines Paars) einen Impuls, reagiert das andere in der Entfernung zeitgleich: »der quantenmechanische Zustand des zweiten Teilchens ändert sich sofort, wenn das erste gemessen wird« (ebd.: 88).

Eine eindeutige Action at a distance also, und liest man z.B. Zeilingers Beschreibung seiner Spin-Experimente (deren Korrelationen denen der Photonenexperimenten zur Verschränkung analog ist), so ist man verblüfft ob der strukturellen Ähnlichkeit etwa mit Mauss’ Beschreibung der Participation mystique in seiner Theorie der Magie. Denn in der Quantenphysik ist ja ganz ähnlich die Rede davon, dass die zuvor vereinten, aus einer gemeinsamen Quelle stammenden Teilchen nach der lokalen Trennung (man denke an Lévy-Bruhls »Zubehör«) »keine voneinander unabhängige Existenz« (ebd.: 88) führen, von Prozessen, »die perfekt über große Entfernungen miteinander zusammenhängen« (ebd.: 72), von »perfekte[n] Korrelationen« (ebd.: 73) etc.

Die Frage, wodurch das Partnerphoton erfährt, was mit dem anderen Teilchen geschehen ist, würde die Magietheorie unter anderem mit dem Hinweis auf Informationsvermittlung durch Emanation und Kontiguität (siehe oben) beantworten. Die im Sinne der Vernunft geführte Suche der Quantenmechanik nach »verborgenen Variablen« (ebd.: 75) bzw. teilcheninhärenten »Instruktionslisten« (ebd.: 78), um die lokal-realistische Weltvorstellung zu retten, löste jedenfalls den Widerspruch nicht: Spätestens mit dem Bellschen Theorem steht, wenn ich recht sehe, die Nichtlokalität bzw. »Nichttrennbarkeit« als Phänomen der Quantenphysik – und damit die Inkompatibilität mit dem bis dahin unangefochten geltenden wissenschaftlichen Realismus – außer Frage. Erklärungsbedarf war also weiterhin dringend vonnöten, die Lösungsansätze bewegen sich auf unterschiedlichen Ebenen. So wurde z.B. experimentell die Geschwindigkeit der Quanteninformation bestimmt (vgl. Salart u.a. 2008), die mindestens 10 000-mal größer sei als das Licht (Dambeck 2008), demnach »verständigt« sich also das getrennte Photonenpaar mit Überlichtgeschwindigkeit; ein anderes Denkmodell geht von Parallelwelten und »snapshots« aus, wobei eine bestimmte Wirklichkeit aus dem Pool unendlicher Möglichkeiten sich erst, wenn man so will, im Moment der Nachfrage realisiere (vgl. Deutsch 1996). Ähnlich Hugh Everett mit seiner Viele-Welten-Interpretation, wonach »der quantenmechanische Zustand immer eine vollständige Darstellung der Wirklichkeit ist und davon bei einer Messung auch nichts verloren geht« (Zeilinger 2005: 150f.); eine andere Theorie lehnt jede Übertragungsidee (etwa durch Überlichtgeschwindigkeit) ab, nimmt dagegen an, dass es in der Quantenwelt weder Raum noch Zeit gebe – und damit »auch keine Veränderung. Was sich verändert, ist unser Meßgerät« (Weiss 2007: 331).

Wie dem auch sei: Niels Bohr hatte schon früh postuliert, dass die verschränkten Teilchen ein System bilden, das auch nach der Trennung fortexistiert (vgl. Zeilinger 2005: 88), auch andere gehen von einer Art unteilbarem System aus, so etwa Davies/Gribbin, die (allerdings noch unter Ausschluss des Informationsaustauschs mit Überlichtgeschwindigkeit) formulierten:

[…] once two particles have interacted with one and another they remain linked in some way, effectively parts of same indivisible system. This property of ›nonlocality‹ has sweeping implications. We can think of the Universe as a vast network of interacting particles, and each linkage binds the participating particles into a single quantum system. In some sense the entire Universe can be regarded as a single quantum system (Davies/Gribbin 1992: 224).

3.2 Die Feldtheorie der Biologie

Das führt mich abschließend auf die etwas exotische Feldtheorie des Biologen Sheldrake.

Ein erstaunliches Acting at a distance ist experimentell nämlich auch innerhalb der biologischen Disziplin zu beobachten, und hier stellt sich ebenso die Frage nach dem Informationsweg. Bekannt dürfte Sheldrakes Rattenexperiment sein, wonach Ratten antrainierte Fertigkeiten von ihren Artgenossen lernen, obwohl diese räumlich und zeitlich (andere Generationen) von ihnen getrennt sind. Sheldrake geht von folgenden Annahmen aus: Er postuliert grundlegend eine erweiterte Vorstellung von Geist, mentale Felder, »die sich über das Gehirn hinaus erstrecken« (Sheldrake 2006: 23), wobei man Feld auch durch Begriffe wie Schwingungen, Energieströme oder eben »nichtlokale Quanteneffekte« (ebd.: 275) ersetzen könne. Gemeint ist die Vorstellung von Feldern um materielle Körper, wobei z.B. durch ein bloßes Anschauen einer anderen Person, also durch gerichtete Aufmerksamkeit, interagierende Wahrnehmungsfelder erzeugt würden (vgl. ebd.: 23f.) – und Sheldrake erinnert in diesem Zusammenhang an die weltweite Vorstellung des bösen Blicks (vgl. ebd.: 240–258).

Sheldrakes mentale Felder ähneln zweifellos archaischen Emanationskonzepten (»me«, »väki«, »mana«, s.o.). Nimmt man sein Postulat der Existenz morphischer bzw. morphogenetischer Felder hinzu, so ist in der Tat ein Acting at a distance ohne Weiteres erklärbar: Morphische Felder (deren Verbindungen wie »unsichtbare Gummibänder« [Sheldrake 1999: 330] wirkten) besäßen nämlich ein immanentes Gedächtnis, durch morphische Resonanz übermittelt, die z.B. bewirkt, »daß ein bestimmter Organismus, etwa ein Zugvogel, mit früheren Organismen derselben Art mitschwingt« (ebd.: 239). Nach Sheldrake steht also eine Art, eine Gattung untereinander durch morphische Resonanz – die mit den »Feldern zahlloser früherer Organismen derselben Art« morphische Felder im Sinne der »Hypothese der Formenbildungsursachen« (Sheldrake 1990: 152) generiert – über Raum und Zeit hinweg in Verbindung. Um an das genannte Rattenexperiment anzuschließen (zu denken wäre hier jedoch z.B. auch an das Meisenrätsel15 oder die Experimente mit den Makakenaffen16): Durch morphische Resonanz existiert eine »größere Lerngeschwindigkeit bei den Nachkommen von sowohl trainierten als auch untrainierten Stämmen« (Sheldrake 1993: 181).

Die Frage nach dem Übertragungsmedium beantwortet Sheldrake wie folgt:

Wir könnten uns einen ›morphogenetischen Äther‹ vorstellen oder eine andere ›Dimension‹ oder Einflüsse, welche die Raumzeit verlassen und dann wieder in sie eintreten. Befriedigender dürfte aber die Vorstellung sein, dass die Vergangenheit überall potentiell präsent, also gleichsam der Gegenwart aufgeprägt ist. (Sheldrake 1990: 148)

4. Schlussbetrachtung

Wie in der vorliegenden Skizze gezeigt, ist Acting at a distance seit den ältesten bekannten (magischen) Texten, seit beinahe fünf Jahrtausenden, belegbar. Anders als erwartbar hat sich die moderne Naturwissenschaft nicht von »spukhaften Fernwirkungen« verabschiedet, sie war und ist im Gegenteil durch experimentelle Evidenz gezwungen, diese anzuerkennen. Während jedoch innerhalb eines archaischen Denkens ein Acting at a distance problemlos an hier geltende weitgreifende explanatorische Systeme anschließbar ist bzw. diese mitkonstituiert, ist die moderne Welt mit der Entdeckung der quantenphysikalischen Nichtlokalität letztlich aus ihrem (mechanistischen) Weltbild herausgefallen und hat die dort verortete Sicherheit eingebüßt. Die Folge ist eine Wendung hin zu ›magischen‹ Erklärungsmodellen insofern, als die generierten Konzepte (Überlichtgeschwindigkeit, Raumzeitlosigkeit, Parallelwelten usw.) den am wissenschaftlichen Realismus geschulten Verstand zweifellos transzendieren: Das beginnt mit C.G. Jungs Synchronizität und setzt sich fort z.B. mit Schrödingers Katze. Längst wird auch der pragmatische Aspekt der Anwendbarkeit fokussiert, etwa im medizinischen Bereich im Rahmen der sogenannten Energiemedizin (Quantenheilung, Radionik etc.), wobei allerdings massive Evidenzprobleme diese nicht von ungefähr wiederum in die Nähe traditioneller Erfahrungsmedizin bzw. magischer Praktiken rücken. Die Frage darf gestellt werden: Ist es denkbar, dass die ubiquitären archaischen Emanationskonzepte, entgegen einem wissenschaftlichen Realismus, nicht völlig substanzlos sind, will sagen: dass Quantenphänomene, und hier meine ich so etwas wie Sheldrakes mentale Felder (vorausgesetzt, diese existieren), womöglich unter bestimmten Bedingungen durchaus wahrnehmbar sind?17 Die archaischen Fernwirkungskonzepte wären damit auf eine Art empirischer Basis gestellt. An die Akzeptanz einer exklusiven Schau (Lichtemanationen) innerhalb der christlichen Mystik sei in diesem Zusammenhang nur beiläufig verwiesen.

Anmerkungen

1  | Als Beobachtungsgrundlage dienen das etwa 28 000 Nummern umfassende Corpus der deutschen Segen und Beschwörungsformeln« (CSB, TU Dresden) sowie u.a. Beschwörungen aus dem Alten Orient, Ägypten und Indien.

2  | Es handelt sich dabei um die fünfte Tafel: Beschwörungsworte der Allaituraḫ(ḫ)i, der Frau aus Mukiš (Haas/Thiel 1978, S. 16).

3  | So z.B. im altindischen Zauberritual; siehe dazu Caland 1990: 12: »Eine Frau und eine kranke Person […] soll er (der Verrichter, der Brahman) beim Haupte anfangend und bei der Fusspitze endigend, abwischen«. Im CSB ist von der Beschwörerin als einer »Streichfrau« (Geschwulst 150) die Rede.

4  | Vgl. dazu die Ausführungen von Farber-Flügge 1973: 118–148, in denen auf Verben eingegangen wird, die den Besitz von »me« anzeigen.

5  | Von Dijk stammt die Definition: »Was wir ›abstrakte Begriffe‹ nennen würden und was in vielen Sprachen grammatisch weiblichen Geschlechts ist, das ist Me« (Dijk 1971: 440f.).

6  | So heißt es sinnfällig beispielsweise schon in der ältesten keilschriftlichen Beschwörungsliteratur: »Einen Bann hat der Mensch fürwahr geworfen, einen üblen Bann hat der Mensch geworfen« (Krebernik 1984: 127).

7  | Siehe zum »bösen Auge« z.B. die auch heute noch beeindruckende Materialsammlung von Seligmann, Siegfried (1922): Die Zauberkraft des Auges und das Berufen. Ein Kapitel aus der Geschichte des Aberglaubens. Hamburg: Friederichsen.

8  | Zur Theorie des magischen Worts vgl. z.B. Schulz 2000: 175–224.

9  | Der Status eines verklärten Ahnengeists wird z.B. mit vier Machtbegriffen beschrieben, von denen einer eben »ach« ist: »ba«, »ach«, »sechem« und »seped« (vgl. Assmann 2003: 441).

10  | Zum Unterschied zu »mana« und »orenda« siehe Stark-Arola 1998: 120.

11  | Zu anderen Kraftträgern (»nenä«, »vihat«) siehe Stark-Arola 2002: 76–84; zu den einzelnen »väki«-Kräften siehe ebd., S. 72–74.

12  | Vgl. dazu den Bericht einer Informantin aus dem Jahr 1935 bei Stark-Arola 2002: 77.

13 | Den Hinweis auf Bacon und Digby verdanke ich Hesse 1962: 90ff.

14  | Was Bacon betrifft, so siehe zu diesem Punkt Rossi 1968: 12.

15  | Nach Sheldrake das am besten dokumentierte Beispiel für eine spontane Ausbreitung: Demnach wurden in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert Meisen in England beobachtet, wie sie den Deckel von Milchflaschen öffneten; obwohl sich Meisen offenbar nicht über 25 Kilometer von ihrem Nistplatz entfernen, breitete sich das Phänomen dann nicht nur in ganz Großbritannien, sondern auch in Schweden, Dänemark und Holland aus (vgl. Sheldrake 1990: 223–227).

16  | Aus den 1950er Jahren stammen die Experimente mit den Makakenaffen: Obwohl diese Tiere auf den verschiedenen japanischen Inseln keinen Kontakt untereinander haben, breitete sich ein bestimmtes Verhaltensmuster (Waschen der Süßkartoffeln im Bach), rasch aus (vgl. Waal 2002).

17  | Die esoterische Szene würde hier von ›Aura-Sehen‹ etc. sprechen.

Literatur

Assmann, Jan (1991): Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur. 2. Aufl. Stuttgart u.a.

Ders. (2003): Tod und Jenseits im Alten Ägypten. München.

Brunner, Hellmut (1983): Grundzüge der altägyptischen Religion. Darmstadt.

Caland, Willem (1990): Altindisches Zauberritual. Probe einer Uebersetzung der wichtigsten Theile des Kauśika Sūtra von Dr. W. Caland. Amsterdam.

Cassirer, Ernst (1994): Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs. 8. Aufl. Darmstadt.

Czerwinski, Peter (1989): Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt a.M. u.a.

Dambeck, Holger (2008): Mysteriöses Quantenphänomen. Einsteins Spuk ist Tausende Male schneller als das Licht. In: Spiegel online (http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,572068,00.html).

Davies, Paul/Gribbin, John (1992): The matter myth. Dramatic discoveries that challenge our understanding of physical reality. New York u.a.

Demaree, Robert J. (1983): The 3ḫ ῐḳr n RC-STELAE. On ancestor worship in ancient Egypt. Leiden.

Deutsch, David (1996): Die Physik der Welterkenntnis. Auf dem Weg zum universellen Verstehen. Basel u.a.

Digby, Kenelm (1669): Of the sympathetick powder. A discourse in a solemn assembly at Montpellier. London.

Dijk, Johs van (1971): Art. »Sumerische Religion«. In: Jes Peter Asmussen/Jørgen Læssøe (Hg.): Handbuch der Religionsgeschichte. Göttingen, S. 431–496.

Ebeling, Erich (1949): Beschwörungen gegen den Feind und den bösen Blick aus dem Zweistromlande. In: Archiv Orientální XVII, H. 1, S. 172–211.

Einstein, Albert u.a. (1935): Can quantum-nechanical description of physical reality be considered complete? In: Physical Review 47, S. 777–780.

Engemann, Josef (1975): Zur Verbreitung magischer Übelabwehr in der nichtchristlichen und christlichen Spätantike. In: Jahrbuch für Antike und Christentum 18 (Münster/Westf), S. 22–48.

Edzard, Dietz O. (1993): Gilgamesch und Huwawa. In: Willem H. Ph. Römer/Ders.: Mythen und Epen I (TUAT III/3: Weisheitstexte, Mythen und Epen). Gütersloh, S. 540–549.

Farber-Flügge, Gertrud (1973): Der Mythos ›Inanna und Enki‹ unter besonderer Berücksichtigung der Liste der me. Rom.

Farber, Gertrud (1990): Art. »Me«. In: Erich Ebelin/Ernst F. Weidner (Hg): Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie 7. Berlin u.a., S. 610–613.

Haas, Volkert/Thiel, Hans Jochen (Hg.; 1978): Die Beschwörungsrituale der Allaituraḫ(ḫ)/i und verwandte Texte. Kevelaer u.a.

Hannig, Rainer (2009): Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch (2800–950 v. Chr.). Die Sprache der Pharaonen. 5. Aufl. Mainz.

Hesse, Mary B. (1962): Forces and fields. The concept of action at a distance in the history of physics. London u.a.

Ijjas, Anna (2011): Der Alte mit dem Würfel. Ein Beitrag zur Metaphysik der Quantenmechanik. Göttingen.

Krebernik, Manfred (1984): Die Beschwörungen aus Fara und Ebla. Untersuchungen zur ältesten keilschriftlichen Beschwörungsliteratur. Hildesheim u.a.

Lévy-Bruhl, Lucien (1956): Die Seele der Primitiven. Unveränd. Nachdr. der Ausg. v. 1930. Düsseldorf

Maul, Stefan M. (1994): Zukunftsbewältigung. Eine Untersuchung altorientalischen Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi). Main a.Rh.

Mauss, Marcel (1989): Soziologie und Anthropologie 1. Theorie der Magie. Soziale Morphologie. Frankfurt a.M.

Müller, Carl W. (1965): Gleiches zu Gleichem. Ein Prinzip frühgriechischen Denkens. Wiesbaden.

Rossi, Paolo (Hg.; 1968): Francis Bacon. From Magic to Science. London.

Salart, Daniel u.a. (2008): Testing the speed of ›spooky action at a distance‹. In: Nature 454, S. 861–864.

Schulz, Monika (2000): Magie oder Die Wiederherstellung der Ordnung. Frankfurt a.M. u.a.

Seligmann, Siegfried (1922): Die Zauberkraft des Auges und das Berufen. Ein Kapitel aus der Geschichte des Aberglaubens. Hamburg.

Spedding, James u.a. (1963): The Works of Francis Bacon. Faksimile-Neudruck der Ausg. von Spedding, Ellis und Heath, London 1857–1874 in vierzehn Bdn. Bd. 2. Stuttgart-Bad Cannstatt.

Sheldrake, Rupert (1990): Das Gedächtnis der Natur. Das Geheimnis der Entstehung der Formen in der Natur. Bern u.a.

Ders. (1993): Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes. Frankfurt a.M. u.a.

Ders. (1999): Der siebte Sinn der Tiere. Warum eine Katze weiß, wann Sie nach Hause kommen, und andere bisher unerklärte Fähigkeiten der Tiere. 4. Aufl. Bern u.a.

Sheldrake, Rupert (2006): Der siebte Sinn des Menschen. Gedankenübertragung, Vorahnungen und andere unerklärliche Fähigkeiten. Frankfurt a.M.

Stark-Arola, Laura (1998): Magic, Body and Social Order. The Construction of Gender Through Women’s Private Rituals in Traditional Finland. Helsinki [Studia Fennica Folkloristica 5].

Dies. (2002): The Dynamistic Body in Traditional Finnish-Karelian Thought. Väki, vihat, nenä, and luonto. In: Anna-Lena Siikala (Hg.): Myth and Mentality. Studies in Folklore and Popular Thought. Tampere [Studia Fennica Folkloristica 8), S. 67–103.

Waal, Frans de (2002): Der Affe und der Sushimeister. Das kulturelle Leben der Tiere. München.

Weiss, Walter (2007): Teleportation Bells Theorem – EPR-Phänomen. Über die irreale Wirklichkeit der Quantenwelt. In: Erwin Kohaut/Ders. (Hg.): Das Rätsel Gravitation und seine naturphilosophische Lösung. Klosterneuburg, S. 313–357.

Zeilinger, Anton (2005): Einsteins Schleier. Die neue Welt der Quantenphysik. 8. Aufl. München.