»Ein Heimatfilm der neuen Art«

Domestizierte Männlichkeit in Fatih Akins Soul Kitchen

Frauke Matthes1

Abstract

In his films Fatih Akin often explores his protagonists’ masculinity in interaction with narrative frameworks that reveal the link between the national and the transnational. Having produced a gangster film (Kurz und schmerzlos, 1998) and a film that centres on marginal masculinity (Gegen die Wand, 2004), Akin has most recently shifted his attention to domestic or local heroes. The male protagonists in Soul Kitchen (2009) – a, according to Akin, »Heimatfilm der neuen Art« [›Heimatfilm of a new kind‹] – have left their ›migrant‹ or ›in-between‹ identities behind and found their identities in a local place (Hamburg) rather than in Germany as a whole.

This article examines how Soul Kitchen engages with the ›Heimatfilm‹ and how it enriches this genre with transcultural elements. It looks into how ›Heimat‹ is re-defined in a post-migrant Hamburg by reference to the film’s male protagonists. The central question is what Akin’s detachment from the portrayal of post-migrants as aggressive, marginalised men and his current focus on domesticated forms of masculinity say about a possibly changing perception of men from »the margins of society«. Have post-migrants actually arrived in German society?

Männlichkeit nimmt derzeit einen festen Platz in gesellschaftlichen und politischen Diskussionen ein. So bemängelte etwa Familienministerin Kristina Schröder im April 2010 die Benachteiligung von Jungen an deutschen Schulen (vgl. Spiewak 2010). Auch die physischen und psychischen Folgen des Afghanistaneinsatzes der Bundeswehr für deren Soldaten geraten zunehmend in den Blickwinkel (vgl. z.B. Sadigh 2009). Schließlich stehen männliche Migranten bzw. Kinder von Migranten mit ihren vorwiegend negativen Schlagzeilen nach wie vor im Zentrum des öffentlichen und medialen Interesses (vgl. z.B. Preuß 2010). Männlichkeit bietet seit einiger Zeit ebenso vermehrt Stoff für den deutschen Film. Das Wunder von Bern (Regie: Sönke Wortmann, 2002) oder die populären, aber wissenschaftlich wenig untersuchten Filme Gangs (Regie: Rainer Matsutani, 2009) und Männerherzen (Regie: Simon Verhoeven, 2009) beziehen sich auf Konstruktionen deutscher Männlichkeit. Das Wunder von Bern setzt sich – den Sieg der westdeutschen Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz im Jahr 1954 als Dreh- und Angelpunkt nehmend – mit dem Generationenkonflikt der Nachkriegszeit auseinander. Gangs stellt eine Gruppe gewaltbereiter junger Männer in Berlin ins Zentrum des Geschehens, die trotz Gewaltbereitschaft zur Liebe fähig sind. Männerherzen geht der offensichtlich immer dringlicher werdenden Frage nach, »was es heißt ›ein Mann‹ zu sein und was Frauen eigentlich von ihnen erwarten« (Film-Website). Auch Filmemacher mit einem sogenannten ›Migrationshintergrund‹ haben sich des Themenkomplexes der Männlichkeit angenommen. Ali Samadi Ahadis Salami Aleikum (2009) beispielsweise spricht die männliche Suche nach Liebe und – eng daran gebunden – nach Heimat jenseits von elterlichen und kulturellen Erwartungen an.

Auf ähnliche Weise verknüpft auch Fatih Akin in seinen Filmen, zuletzt in seiner Komödie Soul Kitchen (2009), die Erkundung der Männlichkeit seiner Protagonisten mit deren Wahrnehmung von ›Heimat‹ und rückt damit Fragen der nationalen und kulturellen Zugehörigkeit im heutigen Deutschland in den Mittelpunkt. In meiner Untersuchung dieser Fragen sollen hinsichtlich des heterogenen Hintergrunds sowohl des Regisseurs als auch der meisten seiner Protagonisten Aspekte des Transnationalen bzw. Transkulturellen Beachtung finden. Transkulturalität ist kein unproblematisches Konzept, da es – wie Graham Huggan herausgestellt hat – »benutzt wird, um eine weit positivere Vorstellung von der Welt heraufzubeschwören, als es ein historisch informierteres und insbesondere wirtschaftlich angetriebeneres Argument erlauben würde« (Huggan 2006: 59).2 Dennoch scheint mir der Begriff der Transkulturalität ein geeigneterer als Interkulturalität zu sein: Ersterer vermag die Bewegungen innerhalb verschiedener Kulturen, Sprachen und geschichtlichen Entwicklungen, wie sie Filmemacher wie etwa Akin in ihrem Werk – teilweise auch auf Grund ihrer eigenen biografischen Erfahrung – verhandeln, am besten zu beschreiben. Kulturen, Traditionen und Konventionen werden mithilfe dieses Begriffs nicht getrennt voneinander, sondern im Zusammenspiel miteinander betrachtet (vgl. Adelson 2003: 23); Differenzen und etwaige Hierarchien werden nicht betont (vgl. Welsch 1999: 194–197). Akins transkulturelles Werk erkundet individuelle bzw. alternative Formen kultureller und nationaler Identität, ohne dabei außer Acht zu lassen, dass dieser Prozess nicht zwangsläufig ein reibungsloser ist.

Helmut Schmitz stellte kürzlich heraus, dass Transkulturalität »nicht mehr nur durch Migration definiert« sein muss (Schmitz 2009: 9). Diese Beobachtung lässt sich auch in der Entwicklung von Akins Werk nachvollziehen. Nach Gangsterfilmen (Kurz und schmerzlos, 1998) und Filmen, die marginalisierte Männlichkeit thematisieren (Gegen die Wand, 2004) und Elemente des physischen Grenzüberschreitens von Deutschland in die Türkei als alternativen Ort oder Ort der Rückkehr beinhalten, scheint sich Akin nun auf Kiez-Helden zu konzentrieren. Hier stellt sich die Frage, ob die männlichen Protagonisten in Soul Kitchen ihre Identität als Migranten oder die des ›Dazwischen‹ (vgl. Bhabha 1994: 38) abgelegt haben, was es ihnen ermöglicht, ihre Identität an lokale Orte (in diesem Fall Hamburg bzw. den Stadtteil Wilhelmsburg) und nicht an Deutschland als Ganzes zu binden. Nach einem traditionellen Verständnis ist Männlichkeit eng mit Nationalität, nicht Lokalität, verknüpft. George L. Mosse stellte fest, dass »das männliche Ideal in seiner Stärke und Schönheit zu einem Symbol der Gesellschaft und Nation wurde« (Mosse 1996: 23). In Soul Kitchen hinterfragt Akin diese Symbolik und bietet eine neue Sicht auf die deutsche Gesellschaft und Nation. Der Regisseur definiert mit Hilfe seiner männlichen Protagonisten Hamburg als Ort der persönlichen, aber auch nationalen Zugehörigkeit und erkundet in diesem Hamburg mit seinen vielfältigen Einwohnern transkulturelle Elemente. Elizabeth Esra und Terry Rowden betonen: »transnational cinema is most ›at home‹ in the in-between spaces of culture, […], between the local and the global. […] [This] problematizes the investment in cultural purity or separatism« (Esra/Rowden 2006: 4). Auch Akin wehrt sich in Soul Kitchen gegen die Abgrenzbarkeit von Kulturen. Seine im Film kreierte deutsche Gesellschaft hat nur noch wenig gemein mit dem idyllischen Deutschland, wie es der nachkriegsdeutsche Heimatfilm konstruierte. Vor diesem Hintergrund ist möglicherweise Akins Bezeichnung seiner Komödie als »Heimatfilm der neuen Art« (Film-Website) zu lesen. Dieser Artikel geht dieser Charakterisierung mit Hilfe einer Analyse der Verquickung von Männlichkeit mit transkultureller Lokalität nach. Er beginnt mit einer knappen Darstellung der Verknüpfung von den Komplexen Ort und (deutsche) Identität im Heimatfilm, um sich dann auf Akins Erörterung von Männlichkeit und Lokalität bzw. Domestizität in seinem ›Heimatfilm‹ zu konzentrieren. Schließlich stellt sich die Frage, ob das (transkulturelle/nationale) Lokale die neue deutsche Heimat für männliche Postmigranten ist oder sein kann.

Heimatfilm Ort und (deutsche) Identität

Thomas Elsaesser bezeichnet den Heimatfilm als »Germany’s only indigenous and historically most enduring genre« (Elsaesser 1989: 141). Der typische Heimatfilm der 1950er Jahre, der darauf abzielte, »Strategien des Erinnerns und Vergessens nach dem Zweiten Weltkrieg« zu entwickeln (Hake 2007: 5), dient als wichtiger Ausgangspunkt, um Akins Film im Licht dieses Genres zu erkennen.

In den vom Wirtschaftswunder, einem überwiegend urbanen Ereignis, geprägten 1950er Jahren bildete sich ›Heimat‹ zu einem Mythos heraus (vgl. Moltke 2002: 23). Dieser wurde in den Heimatfilmen mit den folgenden Charakteristiken inszeniert:

einfache Inhalte, schöne Landschaft, die glückliche Liebesgeschichte, Konzentration der Interessen auf den privaten Bereich, ästhetisches Versagen sowie die simplifizierte Darstellung der Landschaftsverwurzelung des Menschen durch Trachten und leicht verständliche Bräuche (Steiner 1987: 46; in Bezug auf Höfig 1973: 72f.).

Heimatfilme spielten allerdings »eine entscheidende Rolle […] beim Anbieten von imaginären Lösungen für wahre soziale Probleme« (Moltke 2007: 77), vor allem wenn es um mögliche »Kompromisse zwischen radikalen Veränderungen und radikalem Konservatismus« (ebd.: 83) ging. Heimat wurde damit laut Alon Confino zu einer »lokalen Metapher« für die Nation (Confino 1997 in Moltke 2005: 9). Dies ist besonders signifikant im Hinblick auf – und hier gibt es Parallelen zu den Migrationsbewegungen des 20. und 21. Jahrhunderts – »die Verhandlung sowohl des Flüchtlingserlebnisses der Heimatlosigkeit als auch der dringlichen Frage, wie Flüchtlinge als soziale Gruppe in die deutsche Nachkriegsgesellschaft integriert werden sollten« (Moltke 2007: 77). Die Figur des Flüchtlings (oder des Fremden) wurde dabei zu einem »Prototyp für eine neue westdeutsche Identität« (ebd.: 85), wie ihn Wolfgang Liebeneiner in seinem Film Waldwinter (1957) inszenierte. So kann auch Soul Kitchen zu Beginn des 21. Jahrhunderts als ein Beispiel für Filme gesehen werden, die Fragen der Migration und Integration aufgreifen – wenn auch subtiler als in den früheren sogenannten ›Ausländerfilmen‹ – und den Zuschauern eine neue Generation von ›Deutschen‹, oder, um mit Maxim Billers Worten zu sprechen, eine »Dritte Ethnie« in Deutschland (»die Kinder und Enkel der Ausländer«) vorstellen (Biller 2004: 267f.).

In den späten 1960er, frühen 70er Jahren produzierte der ›Neue Deutsche Film‹, der neben anderen Filmtraditionen einen großen Einfluss auf Akins Werk hat (vgl. Fachinger 2007: 254), in Auseinandersetzung mit ›Papas Kino‹ kritische Anti-Heimatfilme. In diesen wird

von Anfang an der illusionäre Charakter einer jeden Heimatidylle gezeigt, die darunter brodelnde Gewalt, die sich in der Provinz versteckt hält, hervorgehoben und das Publikum mit Heimatgeschichten der Unterdrückung und nicht der sozialen Harmonie konfrontiert […]. (Moltke 2005: 205)

Das Lokale wird in diesen Filmen »als Standort profunder sozialer Brüche, unversöhnter Hierarchien, extremer Klassentrennungen, von Vorurteilen und Hinterwäldertum« inszeniert (ebd.: 206). Rainer Werner Fassbinders Wildwechsel (1972) gilt hier als Paradebeispiel. In seinen Filmen

setzte sich [Fassbinder] mit den politischen Kontroversen der 1970er Jahre mit Hilfe melodramatischer Effekte auseinander, die es ihm erlaubten, die Gegensätze zwischen öffentlichem Diskurs und der nationalen Imagination hervorzuheben. (Hake 2008: 167)

Wim Wenders wiederum entdeckte Heimat als »das Fundament von Identität« wieder (ebd.: 169). Diese Beobachtung lässt sich auch in Akins Werk nachvollziehen. Außerdem huldigte Wenders »der Metropole als perfekten Kompromiss zwischen Freiheit und Zugehörigkeit« (Tokyo-Ga [1985]; Lisbon Story [1994]; ebd.). Auch diese Tatsache wird in Soul Kitchen wiedergespiegelt, wie meine Interpretation zeigen wird. Es lassen sich aber auch im Neuen Deutschen Film Überlappungen mit dem traditionellen Heimatfilm feststellen, insbesondere die »Wahrnehmung des Raumes als sozialer und geografischer Mikrokosmos mit porösen Grenzen« (Moltke 2005: 206). Schließlich sieht Johannes von Moltke in Edgar Reitz’ Heimat-Trilogie (1984, 1992, 2004) die Auseinandersetzung mit der »Problematik von ›Heimat‹ als ein kompromittiertes, aber stures populär-kulturelles Gebilde« (ebd.: 33).

In jedem Fall setzen sich viele Heimatfilme mit der »Ambivalenz zwischen neuer und alter Heimat« auseinander (Moltke 2007: 81). Die Frage stellt sich nun, ob dies in Soul Kitchen auch der Fall ist oder ob ›Heimat‹ in diesem ›Heimatfilm‹ bereits ausgelotet zu sein scheint.

Männlichkeit und Domestizität oder: Von der Straße in die Küche

In Soul Kitchen spielt Akin eindeutig auf das deutsche Genre des Heimatfilms an. Auf der Website zum Film ist zu lesen:

Die Welt ist nicht mehr so heil und das Dorf ist ein Restaurant, der Regisseur heißt Fatih Akin und vor der Kamera versammelt er ein ›Best of‹ aus seinen früheren Filmen – Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu und Birol Ünel. Es geht um Familie und Freunde, um Liebe, Vertrauen und Loyalität – und um den Kampf für die Heimat als einen Ort, den es in einer zunehmend unberechenbaren Welt zu schützen gilt (Film-Website).

Akins Film setzt seine thematischen Schwerpunkte auf zwischenmenschliche Beziehungen und Heimat als greifbaren wie auch tröstlichen Ort in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts inmitten seiner kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen (Findungs-)Prozesse. Dabei ist es von Wichtigkeit zu untersuchen, wie Akin mit dem Konzept der ›Heimat‹, mit der »Beziehung zwischen Heimat und Deutschtum bzw. zwischen dem Lokalen und dem Nationalen« (Moltke 2005: 9) umgeht. Wie die obige Ankündigung des Films andeutet, scheint Männlichkeit bei der Konstruktion von Heimat eine besondere Rolle zu spielen: Das ›Best of‹ aus Akins Filmen besteht nur aus männlichen Schauspielern.

Auf der Website zum Film wird Soul Kitchen wie folgt zusammengefasst:

Kneipenbesitzer Zinos ist vom Pech verfolgt: Erst zieht seine Freundin Nadine für einen neuen Job nach Shanghai, dann erleidet er einen Bandscheibenvorfall. Als er in seiner Not den exzentrischen Spitzenkoch Shayn engagiert, bleiben auf einmal auch noch die ohnehin schon wenigen Stammgäste aus. Und als wäre das nicht schon genug, taucht auch noch sein leicht krimineller Bruder Illias auf und bittet ihn um Hilfe. Während Zinos noch überlegt, wie er den Laden los wird, um Nadine nach China folgen zu können, locken Musik und die ausgefallene Speisekarte immer mehr Szenepublikum an. Das ›Soul Kitchen‹ rockt und boomt wie nie zuvor. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse (Film-Website).

Derartige Zusammenfassungen lassen sogleich auf eine Komödie mit einer klassischen Aktaufteilung, die dem Heimatfilm-Genre nahe steht, schließen, aber die Einflüsse des Neuen Deutschen Films mit seinen Anti-Heimatfilmen sind eindeutig erkennbar. Auf der einen Seite weist Soul Kitchen in Anlehnung an Willi Höfigs Charakteristiken des traditionellen Heimatfilms einen einfachen Inhalt auf; die Liebesgeschichte kommt nicht zu kurz, und der Film konzentriert sich auf die Privatsphäre. Auf der anderen Seite ist anzunehmen, dass aufgrund ihrer Namen die meisten Figuren in Soul Kitchen Kinder von Migranten sind und der Film damit auf kürzlich Geschehenes Bezug nimmt; es geht um das ›Andere‹ inmitten der deutschen Gesellschaft.

Das signifikanteste Element des Films ist dessen Schauplatz: Akins Heimatstadt Hamburg, eine Stadt, die sich aufgrund ihres Hafens und internationalen Handels weltoffen zeigt und allein durch diese Tatsache die transkulturellen Elemente des Films betont. Nach Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul (2005) ist Soul Kitchen die zweite filmische Hommage an eine Stadt, die auf Akin und sein Werk sehr großen Einfluss hat3 und wiederum Reminiszenzen an den Neuen Deutschen Film zeigt. Anders als im traditionellen Heimatfilm steht in Soul Kitchen eine Großstadt bzw. ein bestimmter Stadtteil, Wilhelmsburg, der zwischen den beiden großen Elbarmen vom Rest der Stadt abgetrennt ist und eine Elbinsel bildet, und keine ländliche Gegend etwa im Süden Deutschlands im Mittelpunkt. Hamburg bietet keine Basis für Nostalgie. Dennoch vermittelt die urbane Umgebung Heimatgefühle auf unkonventionelle Art und Weise. Der Zuschauer sieht überwiegend Industrie, den Hafen, Kräne und die Elbbrücken (besonders die Köhlbrandbrücke, die dem informierten Zuschauer sofort signalisiert, dass man in Hamburg ist), auf denen S-Bahnen über die Elbe fahren und über die Zinos fahren muss, um von seiner Wohnung im Gängeviertel zur Arbeit zu gelangen. In einer kurzen Sequenz ist sowohl der Altonaer U-Bahnhof zu sehen als auch die Hafen-City, der Stadtteil Westerhude, in dem Zinos’ Freundin Nadine wohnt, und die Speicherstadt. Bis auf einen kurzen Blick auf den Michel im Hintergrund in der Szene, die auf der Eisbahn gegen Ende des Films spielt, bietet Akin seinen Zuschauern mit seinem nasskalten, frühwinterlichen Hamburg weder ein Touristen-Hamburg, wie es der traditionelle Heimatfilm inszenieren würde, noch ein ›Ausländer‹-Hamburg, auch wenn Wilhelmsburg einen Migrantenanteil von 56,8 % hat (ganz Hamburg hat im Vergleich einen Migrantenanteil von knapp 30 % [vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein 2011: 1 u. 4]). Mögliche Probleme mit männlichen Migranten wie Gewalt, Drogen oder Ghettos bleiben außen vor. Dieses Hamburg hat wenig gemein mit den urbanen Räumen in früheren Akin-Filmen, etwa mit den ›Ghettos‹ in Altona. Es bleibt dennoch eindeutig Hamburg, und die meisten Protagonisten sind eindeutig Hamburger, wie deren Akzent verrät. In gewisser Weise kreiert Akin seinen persönlichen Mythos Hamburg, ein Hamburg, das er von Kindesbeinen an kennt und schätzt und dem er in Soul Kitchen ein (Heimat-)filmisches Denkmal setzt.

Trotz der Szenen auf Hamburgs Brücken oder Flughafen – metaphorische Einstellungen, wie sie gern in früheren sogenannten Migrantenfilmen oder der Migrantenliteratur eingesetzt wurden –, lehnt Akin es ab, Repräsentant der ›Migranten‹ oder ein ›ethnic filmmaker‹ zu sein (vgl. Fachinger 2007: 24). Diese Haltung zeigt sich besonders in Soul Kitchen, was den Film erneut in die Nähe traditioneller Heimatfilme rückt. Akin bindet die Identität seiner Protagonisten eng an die Gemeinschaft rund um das ›Soul Kitchen‹, diskutiert diese aber nicht im Zusammenhang mit Konzepten, die auf Hybridität, Subversivität oder ›Anderssein‹ basieren. Insofern nehme ich auch von einer Kategorisierung im Sinne von Hamid Naficys »Accented Cinema« Abstand (Naficy 2001). Natürlich wäre Akins Schaffen ohne die möglicherweise als ›displacement‹ empfundene Migrationserfahrung seiner Eltern so nicht zustande gekommen. Soul Kitchen nimmt sich dieser Thematik aber nicht grundsätzlich an. Dieser Film thematisiert keine deutsch-türkische Geschichte (wie etwa Gegen die Wand) und auch nicht das von Kritikern gern betonte ›Dazwischen‹, also die Suche nach Heimat, nach alternativen bzw. befreienden Orten zu Deutschland bzw. Hamburg, die die Dichotomie zwischen Klaustrophobie und Offenheit betont. Es geht auch nicht um die Befreiung der Frau oder um Generationenkonflikte (so zeigt der Film etwa keine gescheiterten Vaterfiguren). Identitätskonflikte werden nicht aufgrund der Tatsache, dass die Protagonisten verschiedenen Kulturen ausgesetzt sind, ausgetragen. Von Gewalt in der sogenannten ›zweiten bzw. dritten Generation‹ erfährt man nur auf subtile Art und Weise: Illias ist zwar im Gefängnis, aber trotz seines männlichen ›Knasti‹-Stolzes ist ihm dieser Umstand sehr peinlich, vor allem weil er die Kellnerin Lucia beeindrucken will, die trotz dieser Tatsache recht schnell an ihrem »Grieche[n] auf dem heißen Blechdach« bzw. »Graf[en] von Montecristo« Gefallen findet.

Wenngleich es fraglich ist, ob Soul Kitchen ein politischer Film ist, reflektiert Akin über »die Bedeutung von Ort, von zu Hause, Identität und Zugehörigkeit in einem grundlegend veränderten Europa« (Hake 2008: 218). Dieser thematische Fokus hebt den Film über den Status einer »migration comedy«, wie David Gramling Soul Kitchen bezeichnet hat (2010: 371). In Soul Kitchen geschieht die Reflexion über Gemeinschaft und Heimat auf subtile Art und Weise: Statt des Dorfes der Heimatfilme der 1950er Jahre wird bei Akin nicht, wie in seinen früheren Filmen, die Straße, sondern die Küche des ›Soul Kitchen‹ in Wilhelmsburg zur Heimat bzw. zu deren Seele, und es sind Männer, die diese Heimat suchen und konstruieren. Interessanterweise wird dabei ein traditionell weiblich besetzter nun zu einem männlich besetzen Raum. Dies steht im Widerspruch zu jenen Heimatfilmen, wo die Küche als »Schaukasten« des Wirtschaftswunders mit der Wiederherstellung der Rolle des nun über jedwede Technik verfügenden Heimchens am Herd gezeigt wird, nachdem in den Kriegs- und wenigen Nachkriegsjahren die Gender-Rollen oft notgedrungen ausgetauscht werden mussten (vgl. Moltke 2005: 116 u. 118). Die Küche des ›Soul Kitchen‹ gewinnt allerdings eine gewisse Coolness, und – im Gegensatz zu vielen Hausfrauen – haben Akins Männer eine Wahlmöglichkeit. Limitierte Räumlichkeit wird in Soul Kitchen neu definiert. Sie lässt keine Klaustrophobie wie in den frühen ›Ausländerfilmen‹ zu, in denen es um das Eingesperrtsein der Frauen ging (z.B. in Tevfik Başers 40 qm Deutschland, 1986), oder selbst in Akins Gegen die Wand, in der die Domestizität in der Wohnung des männlichen Protagonisten Cahit zum Wahnsinn treibt. Die Küche bringt auch die drei markantesten Männertypen des Films zum Vorschein: Zinos, den hilflosen, etwas verwirrten vermeintlichen Küchenchef, Shayn, den Küchenmacho, der mit dem Messer als ›Waffe‹ seine Männlichkeit inszeniert, und Illias, den Macho-Kriminellen.

Anhand dieser drei Männer lassen sich die transkulturellen Charakteristika des Films besonders gut ausmachen. Shayn, der Messerwerfer und »Zigeuner«, wie er einmal bezeichnet wird, inszeniert eine aggressive Männlichkeit, die Genie und Wahnsinn in sich vereint und die er gern mit dem Akt des Messerschleifens unterstreicht. Außer dass er in einem Nobelrestaurant Küchenchef war, wissen die Zuschauer nicht, woher er kommt; auch sein Name lässt keine Schlüsse auf seine Herkunft zu. Seine Nationalität ist nicht wichtig, seine Haltung zum Kochen und zur Küche dagegen sehr. Er trinkt zu viel und ist versnobbt (so spricht er etwa von »Gaumenrassisten«), aber er kocht »Essen für die Seele«. Zinos, für den Musik Essen für die Seele ist und dessen tapsige Männlichkeit das Komödiantische des Films besonders gut zum Vorschein bringt, ist beeindruckt, und er geht in Shayns Lehre. Shayn wird damit zu einem Mentor (oder gar zu einer Vaterfigur) im ›Soul Kitchen‹-Familienidyll.

Die Beziehung der Brüder Zinos und Illias Kazantzakis ist ebenso beachtenswert. Wie bereits gesagt, ist Soul Kitchen eine Komödie, die in erster Linie auf Unterhaltung abzielt; dennoch vermittelt sie zugleich melancholische Nostalgie für Familienbande und Freundschaft (wie es der Werbetext für den Film auch suggeriert). Daher stellt sich die Frage, ob diese Nostalgie über Transkulturalität als möglicherweise neues Heimatkonzept ausgetragen wird. Es geht um Werte, welche die Heimat des tradierten Heimatfilms als Illusion entlarven und nun anders definiert werden müssen: Zwischenmenschliche Beziehungen, die nicht auf nationaler Gemeinschaft fußen, sind die ›neue Heimat‹. Soul Kitchen ist Akins Bruder Cem gewidmet, der im Film eine kleine Rolle als Pokerspieler übernimmt. Der Fokus des Films ist Familie als Heimat, die es zu verteidigen gilt. Die Brüder könnten unterschiedlicher kaum sein. Zinos, der konfuse Küchenchef, der seine engelsgleiche, blonde, reiche, aber auch etwas hysterische, Valium einnehmende Freundin an einen Chinesen verliert, ist trotz aller Hindernisse ein Kämpfertyp, jemand, der um seine Heimat kämpft. Das Restaurant symbolisiert diese Heimat als physischen Ort. Im Audio-Kommentar zum Film sagt Akin, dass das Restaurant auch ein Schiff sein könnte: Zinos ist der Kapitän, der sein Schiff zurückgewinnen will. Er kämpft für seine bröckelnde Heimat, für den »sozialen und geographischen Mikrokosmos« (Moltke 2005: 206), in dem er – trotz aller Veränderungen und Widerstände – lebt. Er lässt ihn sich nicht wegnehmen, und wenn ihm jemand seine Heimat rauben will, dann holt er sie sich zurück. Trotz seiner Heimatverbundenheit, durch die er mitunter die Illusion von Heimat aufrechterhalten möchte, lässt Zinos Veränderungen zu. Sein Plan, Nadine nach Shanghai hinterher zu reisen, lässt darauf schließen, dass er seine Heimat auch an anderen geografischen Orten suchen würde und dass Heimat eben nicht an eine Nation oder Kultur gebunden ist, sondern etwas Transkulturelles beinhaltet.

Illias dagegen entspricht dem südeuropäischen Klischee des Macho, der zwar beeindrucken will, aber auch (mitunter etwas scheinheilig) an Traditionen festhält (besonders seine Kreuz-Kette ist ein wichtiges Symbol für seinen griechischen Stolz). Der Film legt mithilfe dieser Figur sein satirisches Element offen: Auch Illias sucht Nähe, eine ihn wärmende Heimat. Als Illias seinen Bruder um Hilfe bittet, tut er dies mit den Worten: »Mann, ich bin doch dein Bruder«. Illias ist aber kein verlässlicher Bruder, was ihm eine gewisse Unzufriedenheit und Scham beschert, die ihn zu Tränen rühren und zu der Entschuldigung veranlasst, er sei »krank« (er leiht sich von Zinos ständig Geld für seine diversen [Spiel-]Geschäfte und verpokert schließlich das ›Soul Kitchen‹). Trotzdem gehen die beiden miteinander buchstäblich durchs Feuer und halten zusammen. Ihre Brüderlichkeit inszenieren sie durch männliche Gesten: Sie sind im griechischen Tanz mit geöffneten Arme vereint; brüderliche Umarmungen und Küsse stehen auf der Tagesordnung. Damit werden ›brüderliche‹ Werte wie Loyalität und Ehre auch – im Sinne Judith Butlers – performativ dargestellt. Für Butler ist Performativität zu verstehen »not as a singular or deliberate ›act‹, but, rather, as the reiterative and citational practice by which discourse produces the effects that it names« (Butler 1993: 2). Zinos’ und Illias’ männliche Gesten werden nicht bewusst eingesetzt, sondern tragen fast instinktiv zur transkulturellen Identitätsstiftung zum Bruder – Deutsch-Griechen, aber auch Hamburger – bei.4 Die enge Bindung der Brüder bzw. Zinos’ Bereitschaft, seinem Bruder zu helfen, aber auch Illias’ aufkeimende Liebe zu Lucia, bieten schließlich eine imaginäre Lösung für ein soziales Problem – einem, laut Moltke, weiteren Element des traditionellen Heimatfilms (vgl. Moltke 2007: 77): Zwischenmenschliches als Heimat fungiert hier als Präventionsmittel gegen etwaige weitere kriminelle Straftaten eines ›Migrantenkindes‹. So schafft es Illias von der Straße (von der Kriminalität) in die Küche (in seine ›Heimat‹).

Das Lokale Die neue deutsche Heimat für männliche Postmigranten?

Die Darstellung derartig gezähmter Formen von Männlichkeit führt zu folgenden Fragen: Gibt es in Soul Kitchen trotz seines Unterhaltungscharakters nicht doch ein politisches Element, welches auf die Situation von (männlichen) Postmigranten eingeht? Ihre ›Ankunft‹ in der Mitte Deutschlands? Ein (transkulturelles) Element, das darüber hinausgeht, dass ein türkischstämmiger Deutscher einen Film über griechischstämmige Brüder dreht (was man an sich schon als eine politische Aussage werten kann), von denen einer von einem Deutschen gespielt wird? Celia Applegate schreibt: »Heimat suggests a long-standing though not always explicit debate in German society about the proper relation between the locality and the nation, the particular and the general, the many and the one« (Applegate 1990: 6). Meiner Ansicht nach thematisiert Soul Kitchen nicht die »proper relationship« zwischen Lokalität und Deutschtum, die Figuren gehen sehr selbstverständlich mit ihrer Situation um, Herkunft bzw. Ankunft werden gar nicht hinterfragt. Damit wirkt Akins Film den immer wieder aufkommenden Debatten um Integration entgegen. Akins Wilhelmsburg ist kein sozialer Brennpunkt. Der Regisseur zeigt uns ein Wilhelmsburg, das Möglichkeiten der Identitätsbildung jenseits von Assimilation oder kompletter Rebellion (der Ablehnung des Deutschen) bietet. Männliche Identität wird nicht mehr auf der Straße mit Fäusten gesucht und bestätigt (vgl. Kolinsky 2002: 214). Kriminalität wird lediglich durch Illias’ Gefängnisaufenthalte thematisiert, und auch hier ist nicht klar, wofür er verurteilt worden ist. Seine Taten scheinen wenig mit physischer Gewalt zu tun zu haben, dafür ist er auch viel zu elegant-machohaft in seinem Auftreten. Akins Interesse an Lokalität lässt sich damit begründen, dass die von ihrer Herkunft her nicht-deutschen Protagonisten jetzt sichtbar sind. Ihre Sichtbarkeit in der deutschen Gesellschaft müssen sie sich nicht länger erkämpfen (vgl. hierzu bell hooks’ Beobachtungen bezüglich afro-amerikanischer Männlichkeit [2004: 80]). Was besonders auffällt, ist die Tatsache, dass die Protagonisten (von ihrem Namen abgesehen) nicht mehr als kulturell oder ethnisch anders angesehen werden. Ihre Präsenz ist selbstverständlich, und ihre männliche Identität nimmt Vorrang, nicht ihre kulturell ›anders‹geartete, also nicht-deutsche. Anhand dieser Figuren und der Trennung von männlicher und ethnischer bzw. nationaler Identität suggeriert Soul Kitchen eine Veränderung in der deutschen Gesellschaft. So gelingt es dem Film, binäre Strukturen von Deutschen versus ›den Anderen‹ zurückzulassen und im Lokalen Transkulturalität bzw. -nationalität zu inszenieren.

Was sagt diese Umorientierung in Akins Filmschaffen über eine sich möglicherweise verändernde Wahrnehmung von Männern am von Feridun Zaimoğlu in Kanak Sprak (1995) noch proklamierten »Rande der Gesellschaft« aus, an dem auch Deutsche landen können? Schließlich endet in Soul Kitchen Thomas Neumann, der Immobilienmakler, wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis. Gibt es einen zunehmenden »positiven Sinn für die ›Individualisierung‹ und Erweiterung von Vorstellungen nationaler und/oder ethnischer Identität«, wie es Joanne Leal und Klaus-Dieter Rossade sehen (2008: 60; in Bezug auf Kolinsky 2002: 206)?

Schluss Vom harten Kerl zum Weichei?

Der Ausgangspunkt dieses Aufsatzes war die Annahme, dass Nationalität traditionell an Männlichkeit gebunden ist. In Soul Kitchen wird eine Männlichkeit konstruiert, die eng mit Lokalität bzw. Domestizität verknüpft ist. Akins Loslösung von der Darstellung von Postmigranten als aggressiven, marginalisierten, buchstäblich ghettoisierten Männern (vgl. z.B. Göktürk 2000: 341), vom Typen des gewaltbereiten Gastarbeiterkindes, und seine Inszenierung von Alltäglichkeit, von gezähmteren Formen von Männlichkeit scheint zu suggerieren, dass seine Protagonisten nicht (mehr) versuchen, sich an einem Konzept ›Nation‹ zu reiben. Akin selbst sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass die Moral des Filmes sei, »dass man gemeinsam stärker« sei (Akin in Herpell 2009: V2/8). Dies geht möglicherweise Hand in Hand mit dem, was Guido Rings als »post-national tendencies in Germany and Turkey« (Rings 2008: 33) bezeichnet. Diese Aussage kann man auf zweierlei Weise auslegen. In einer positiven Lesart spielt Nationalität keine Rolle mehr. Das männliche Selbstbewusstsein schöpft sich aus anderen Quellen, nicht mehr nur aus dem Agieren in öffentlichen Räumen. Weiblich besetzte Räume werden dafür auch für Männer akzeptabel. Eine weitere positive Lesart legt nahe, dass, indem Akin Soul Kitchen als einen »Heimatfilm der neuen Art« bezeichnet, er mit Wahrnehmungen von Nationalität spielt. Damit zeigt er das Selbstbewusstsein der Kinder von Migranten, von Billers »Dritter Ethnie«, die sich zwar zu Deutschland (seinem kulturellen Erbe, seinen Traditionen, wie etwa auch dem Heimatfilm) bekennen, aber diesem Land und dessen Vorstellung von Nationalität ihre ganz eigene Note verleihen. Akin ist damit nicht mehr nur ›der Türke‹, der die Ambivalenz und die Instabilität von ›Heimat‹ zu Beginn des 21. Jahrhunderts trotz all seiner Nostalgie für Brüderlichkeit in seinem Hamburg inszeniert. In Soul Kitchen bedient er sich einer Mischung aus Elementen des traditionellen Heimatfilms und einer an die des Neuen Deutschen Films angelehnten Kritik an dessen Heimatkonzept. Letztere kopiert er allerdings aufgrund des Komödiencharakters seines Films nicht vollständig.

Eine andere, negative Auslegung besagt, dass Kinder von ›Ausländern‹ verzweifelt versuchen anzukommen, dies aber nie richtig schaffen. Sie werden nie die deutsche Nationalität repräsentieren können; sie können nur an lokalen Orten ankommen oder einem der typischen Berufe des Einwanderers, wie Restaurantbesitzer, nachgehen, um sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern. Dort sind sie dann akzeptiert, als Wilhelmsburger, aber nicht als Deutsche. ›Das Andere‹ wird auf diese Weise ›entmannt‹ und in eine Nische abgeschoben, von der aus es nicht am wichtigen, öffentliche Leben trotz aller Entwicklungen Deutschlands als Einwanderungsland teilnehmen darf. Diese Lesart impliziert, dass sich ›Andere‹ selbst marginalisieren können, indem sie sich in die für sie vorgesehen Nische zurückziehen und Ghettos bzw. ›Parallelgesellschaften‹ bilden.

Letztendlich trägt Soul Kitchen trotz seines lächerlich-komödienhaften Charakters zum aktuellen Interesse an der Frage bei, was Männlichkeit im heutigen Deutschland bedeutet, und bietet mit seinen transkulturellen Elementen neue Sichtweisen auf diesen Themenkomplex. Kinder von Migranten müssen nicht mehr nur ›das Andere‹ in der deutschen Gesellschaft sein, sondern hinterfragen selbstverständlich alte und neue Vorstellungen von Heimat, um diese zu bereichern und neu zu definieren, wie es Akins »Heimatfilm der neuen Art« anstrebt.

Literatur

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Anmerkungen

1  | Dieser Artikel beruht auf dem Vortrag Lokalität und Männlichkeit im zeitgenössischen deutschsprachigen Film: Fatih Akins Soul Kitchen, den ich auf der Jahrestagung der DAAD-Lektor(inn)en und Sprachassistent(inn)en in Großbritannien und Irland im Dezember 2010 auf Cumberland Lodge hielt. Ich danke den Zuhörern für ihre anregenden Kommentare. Weiterhin danke ich Corinna Häger (University of Edinburgh) für ihre wertvollen Hinweise zu diesem Artikel.

2  | Soweit nicht anders erwähnt, stammen die Übersetzungen der englischsprachigen Literatur von der Verfasserin.

3  | In diesem Artikel muss die Rolle der Musik als transkulturelles Element aus Restriktionsgründen ausgespart bleiben. In Soul Kitchen wird Musik zu einem weiteren Ausdruck von Heimat, zum Ausdruck von sowohl zwischenmenschlicher als auch geografischer bzw. transnationaler Verbundenheit. An dieser Stelle unterwandert Akins Film den traditionellen Heimatfilm. In letzterem trägt Musik (von Volksliedern zu Operettenarien) zu »symbolischen Handlungen der Versöhnung […] [, die] oft während Volksfesten, religiösen Festen und gemeinschaftlichen Feierlichkeiten stattfanden«, bei (Hake 2008: 118). Lieder legen auch »eine relativ flexible und hybride Wahrnehmung von ›Ort‹ (place)« nahe (Moltke 2005: 89). Besonders letzteres ist in Soul Kitchen nachweisbar, da dessen Musik sehr facettenreich ist.

4  | Diese Performativität hat wiederum Reminiszenzen an Gangsterfilme, in denen mit den körperlichen Handlungen Heldenmut, also hegemoniale Männlichkeit innerhalb des Gangstermilieus, inszeniert wird. In dieser Hinsicht hält Akin an seinen eigenen Filmtraditionen fest.

Medien

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