What kind of communication may be named ›worthwile‹? Is it possible that even the refusal of communication is ›worthwile‹ for instance? In this paper a corresponding approach is presented under consideration of negotiation theory having in mind the design of a theory of benefit based on cultural studies. Without doubt: what can be expected by this new theoretical design is the reduction of social tension as well as the solution of problems caused by deficient comprehension of communication in companies, institutions and administration.
Wenn Menschen sprachlich miteinander in Kontakt treten, gehören Konflikte dazu. Dies betrifft urbane Ballungszentren, soziokulturelle Metropolen und vielsprachige Megastädte, in denen Sprecher der verschiedensten Sprachen und Varietäten in Berührung kommen und ebenso oft auch in Auseinandersetzungen, Streit und Konflikt geraten – beziehungsweise, in denen sie Kontakte konsequent vermeiden, was Konflikte aber wiederum keineswegs zuverlässig verhindert. Generell gilt die Ubiquität von Kontakt und Konflikt in seinen verschiedenen Varianten von leichten bis zu gravierenden Formen für alle Arten von komplexen Umfeldern, seien sie alltäglicher, institutioneller, innerbetrieblicher, politischer oder wissenschaftlicher Art.
Die Aufnahme von Kontakten, aber auch ihre Verweigerung ist ebenso wie die Entstehung von Konfliktsituationen einschließlich der betreffenden Eska lations- und Deeskalationsprozesse in kommunikative Interaktionsprozesse eingebunden. Dabei gehen soziale Asymmetrien und kulturell-sprachliche Unterschiede oft mit erheblichen Differenzen der individuellen sowie schicht- oder gruppenbezogenen Kommunikationskompetenzen einher, die sich unter anderem auf die Eloquenz, die Differenziertheit des Ausdrucksvermögens und – beispielsweise im Rahmen behördlicher Kommunikation oder aufgrund gesellschaftlicher Normen und Regeln der Ansprechbarkeit etwa Ranghöherer – auf den Zugang zu relevanten Kommunikatoren auswirken können. Dabei verweisen unterschiedliche Kommunikationskompetenzen nicht zuletzt auf Ungleichheiten im Bildungssystem.1
Spiegelungen sozialer Differenzierung in den Bereichen von Kommunikationskompetenzen und -gepflogenheiten können zudem bei allen Mitgliedern einer Gemeinschaft – und zwar unabhängig von ihrer jeweiligen eigenen Stellung im sozialen und stilistischen Stratifikationssystem – ab- und ausgrenzende Verhaltensweisen gegenüber anderen Mitgliedern derselben und denen anderer Gemeinschaften mit sich bringen. Alle Formen solcher schicht- und gruppenbezogenen Selbstabschließung und Ausgrenzung Anderer werden in diesem Beitrag als ein- oder gegenseitige kommunikative Unerreichbarkeit oder kommunikative Verweigerung bezeichnet. Vor dem Hintergrund des Bestehens von – unter anderem durch familiäre und schulische Umfelder bedingte – Ungleichheiten der Kommunikationsfähigkeit ist Unerreichbarkeit oft auch eine Form von Verweigerung der Kommunikationsbereitschaft. Es ist mit anderen Worten davon auszugehen, dass Ungleichheiten der Kommunikationsfähigkeit und bestehende soziale Asymmetrien unter Kommunikationspartnern Tendenzen zur Verweigerung begünstigen.
Verweigerung heißt – in den kommunikationstheoretischen Kategorien von H. Paul Grice oder ähnlich auch von Jürgen Habermas gedacht, in denen sie aber keineswegs zufällig eher als negative Schattenkategorie in Erscheinung tritt –, dass in geringem Umfang oder eben überhaupt nicht kooperiert wird.2 Mit der Verweigerung der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft wird daher zugleich im Sinne von Grice und Habermas die zentrale, entscheidende Voraussetzung von Kommunikation außer Kraft gesetzt. Theoretische Zugänge wie diese, in denen Kooperation oder gar wie bei Habermas Konsens zur kommunikativen Basiskategorie erklärt wird, stoßen folglich an ihre Grenzen, wenn es um eine systematische Untersuchung von Formen, Ursachen, Hintergründen und Folgen kommunikativer Unerreichbarkeit beziehungsweise Verweigerung geht. Aus diesem Grund ist es geboten, nach anderen Ansätzen Ausschau zu halten, in denen übergreifend neben der Kooperation auch ihre Verweigerung reflektiert wird.
Damit stellt sich die Frage, welche ausgebauten nicht-reduktiven Konzepte überhaupt zur Verfügung stehen und für eine adäquate systematische Beschreibung kommunikativer Handlungs- und Verhaltensmuster einschließlich ihrer Negationsformen in Frage kommen. Es geht also um die Berücksichtigung sowohl von kooperativen als auch defektiven Mustern.
Beispielsweise könnte hier an die Reflexion des Abschottungsverhaltens von Individuen gegenüber einer Gemeinschaft gedacht werden, wie sie in Sozialisationstheorien und der Pädagogik anzutreffen ist; Schülerinnen und Schüler, die sich passiv oder aktiv dem Unterricht entziehen, stellen eine entsprechende Herausforderung dar. Dieser Weg soll hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. In ganz anderer Weise haben weiterhin auch Marketing und Werbung mit den Problemen kommunikativer Unerreichbarkeit und den entsprechend findungsreichen Versuchen ihrer Überwindung zu tun. Auch dieser Themenkomplex wird hier jedoch nicht aufgegriffen.
Ausgerechnet im Bereich der kommunikationswissenschaftlichen Theoriebildung ist die Suche nach entsprechenden Konzepten allerdings mit Schwierigkeiten verbunden. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass unter anderem die bis heute trotz kritischer Stellungnahmen andauernde Wirkungskraft des watzlawickschen Diktums des sich nicht Nicht-Verhalten-Könnens einer breiten und fundierten Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen kommunikativer Unerreichbarkeit und Verweigerung nach wie vor im Weg stehen. Es kommt hinzu, dass kommunikationstheoretische Konzepte in der überaus wirkungsmächtigen informationstechnischen Tradition Shannon und Weavers geradezu notorisch reduktionistisch sind im Hinblick auf die sogenannten Störquellen des kommunikativen Erfolgs. Und wenngleich dies andererseits von postmodernen Ansätzen nun gerade nicht behauptet werden kann, so sind auch sie für die hier aufgenommene Problemstellung kaum zielführend, da ein möglicher Erfolg kommunikativer Anstrengungen hier schon grundsätzlich in Frage gestellt wird.3
Zu denken wäre in diesem Zusammenhang hingegen an linguistische und kommunikationstheoretische Untersuchungen des Schweigens, dass grundsätzlich eine markierte Form des sich nicht Äußerns darstellt und so gesehen unter Umständen als Kooperationsverweigerung betrachtet werden kann. Im Unterschied zur grundsätzlichen Verweigerung wie im Fall kommunikativer Unerreichbarkeit ist das Schweigen und seine linguistische Erforschung jedoch in der Regel eine situativ in die Kommunikationssituation eingebettete Form des Nicht-Sprechens, wie zum Beispiel das ›beredte Schweigen‹.
Im Bereich soziolinguistischer Ansätze schließlich existieren zwei prinzipiell miteinander konkurrierende Konzepte, von denen hier das Zweite aufzugreifen und weiterzuverfolgen ist: Einer breit ausgebauten Kontaktlinguistik stehen konfliktlinguistische Orientierungen gegenüber, die bislang insgesamt immer noch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten, wenngleich Ansätze der kritischen Diskursanalyse hier einen beachtlichen Beitrag leisten.4 Zu den zentralen Ansatzpunkten konfliktlinguistischer Orientierungen gehört die Infragestellung der kontaktlinguistischen Basisannahme harmonisierender Tendenzen und prinzipiell symmetrischer Gegebenheiten unter Kommunikationspartnern, die in der Regel ganz selbstverständlich – respektive weniger euphemistisch formuliert: ohne angemessenes Problembewusstsein – damit einhergeht, dass allein das ›funktionierende‹ Sprachhandeln in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangt. Fasst man dagegen etwa mit Gerold Ungeheuer Kommunikation als einen Prozess der unhintergehbaren kommunikativen Subjektion auf, der schon aufgrund der prinzipiell erforderlichen Bereitschaft, dem anderen ›sein Ohr oder Auge zu leihen‹ und sich auf das Zuhören beziehungsweise die Anstrengung sowie den Zeitaufwand des Lesens einzulassen, durch – im besten Fall wechselweise – Asymmetrie gekennzeichnet ist, dann stellt sich Kommunikation als konstitutiv mit Ungleichheiten behaftet dar. 5
Dieses linguistische Paradigma betrifft zunächst die soziologische Mikroebene des Face-to-Face-Dialogs: Hier wird in konfliktlinguistischem Zugang unter anderem die Untersuchung von kommunikativen Gattungen wie Streit und allen Formen der Auseinandersetzung thematisch.6 Aufmerksamkeit erhalten nunmehr unter anderem das Ausagieren von Emotionen im Konflikt und Möglichkeiten des Konfliktmanagements sowie der Schlichtung.
Gleichermaßen betrifft dieses Paradigma die soziologische Mesoebene mit Problemfeldern der Kommunikation in Gruppen, Institutionen, Organisationen und öffentlichem Leben. Besondere Erwähnung verdienen hier der Umgang mit Hate Speech, verletzenden Worten und sprachlicher Gewalt, aber auch Themenbereiche wie Sprachkonflikte, Sprachunterdrückung und Linguizid.7
Damit ist ferner bereits die soziologische Makroebene öffentlicher, medial vermittelter, kulturübergreifender und internationaler Kommunikation berührt. Hier stehen beispielsweise Fragen nach den theoretisch reflektierten Gegebenheiten des Dialogs der Kulturen – respektive des Kampfes der Kulturen – und des interkulturellen Medienkontakts auf der Agenda linguistischer und kommunikationstheoretischer Forschung.
Generell gilt dabei für das konfliktlinguistische Paradigma, dass Harmonie und Symmetrie nicht einseitig fokussiert werden, sondern auch Aspekte sozio-kommunikativer Machtkonstellationen sowie Formen des Aus-dem-Ruder-Laufens von Kommunikationssituationen und -prozessen nicht mehr ausgeschlossen werden, die bis hin zur kommunikativen Verweigerung einer oder auch beider Seiten gehen können.
Vor diesem Hintergrund einer allgemeinen theoretischen Verortung kommunikativer Unerreichbarkeit und Verweigerung, die auf allen genannten soziologischen Ebenen angesiedelt sein kann, soll nun danach gefragt werden, unter welchen Umständen mit kommunikativer Verweigerung gerechnet werden muss, wann sie sogar ›lohnend‹ sein kann und welche prinzipiellen Möglichkeiten es zu ihrer Überwindung gibt.
Und zwar kann es zur Verweigerung vor allem dann kommen, wenn der kommunikative Aufwand einer oder beiden Seiten subjektiv nicht gewinnversprechend beziehungsweise nicht lohnend erscheint. Denn dass der Austausch zumindest potentiell als der Mühe wert erachtet wird, ist Voraussetzung dafür, dass Kommunikationspartner als sozial Handelnde sich in einen Kommunikationsprozess überhaupt einlassen und ihn dann fortführen: Steht kein gegenseitiger Vorteil in Aussicht, wird nicht kommuniziert und das heißt auch nicht kooperiert.
Eine solche Einschätzung kann bei ungleichen respektive asymmetrischen Parteien die stärkere Seite betreffen, wenn die schwache beispielsweise als zu unattraktiv bewertet wird, um sie des kommunikativen Aufwands zu würdigen. Ebenso kann die schwächere Partei zu dieser Einschätzung gelangen, etwa wenn sie kommunikativ und allgemein frustriert ist. Unter Umständen kann dabei jedoch mit Bezug auf beide Seiten durchaus auch von einer Macht der Verweigerung gesprochen werden; und zwar insofern, als spezifische Formen von Machtausübung darin bestehen können, sich der Kooperation gezielt zu entziehen.8
Die Bemühungen, die unter anderem den Zeitaufwand betreffen und die in die Kommunikation zu ›investieren‹ sind, dürfen mit anderen Worten nicht auf Dauer den gegenseitigen Gewinn, der sich aus der Interaktion ergibt, übersteigen. Andernfalls sind der Abbruch der Kommunikation seitens der einen und oder anderen Dialogpartei und damit die ein- oder beidseitige Unerreichbarkeit zu erwarten. Kommunikative Kooperation setzt mit anderen Worten voraus, dass Aussicht auf einen angemessenen Gewinn besteht.
Von solchen Überlegungen ausgehend und in Orientierung an verhandlungstheoretischen Ansätzen hat der Translationswissenschaftler Anthony Pym 1995 ein Modell »lohnender« Interaktion skizziert. Es illustriert, wie dem Schema oben zu entnehmen ist, dass Kooperation kurzfristig gesehen nur dann lohnend ist, wenn beide Partner kooperieren.9 Denn es verhält sich anderenfalls so, dass man kurzfristig nichts zu verlieren hat, wenn man selbst defektiert – also gerade nicht kooperiert und z.B. Absprachen aller Art unterläuft oder sich entzieht. Und dies ist unabhängig davon, wie sich die andere Seite verhält. Dies zeigen im Modell oben die fiktiv angesetzten Zahlen + 300 und – 50: Das bedeutet, dass wenn man selbst defektiert und die andere Seite kooperiert, der eigene Vorteil groß ist; defektieren beide Seiten, so ist der Schaden auf beiden Seiten beispielsweise mit – 50 zu beziffern, da das gemeinsame Unterfangen grundsätzlich in Frage gestellt ist, wenn beide Seiten defektieren. Auch die kommunikative Verweigerung als eine Form der Defektion betrachtet, kann kurzfristig vorteilhaft erscheinen oder sogar sein. In dem Fall spart man sich ja die Anstrengungen der möglicherweise oder voraussichtlich nicht erfolgreichen – oder nicht gewinnbringenden – Kommunikation schon gleich.
Der durch ein- oder beidseitige Defektion verursachte Schaden ist aber langfristiger Natur und besteht vor allem im gegenseitigen Vertrauensverlust.10 Denn mit der Abnahme des Vertrauens wird zugleich der Aufwand, erneut zu kooperieren, immer größer. Und zwar wird es immer aufwändiger, die Handlungen der Gegenseite mit einiger Sicherheit vorhersagen zu können. Eine zumindest relative Vorhersagbarkeit respektive Verlässlichkeit ist jedoch gerade die Voraussetzung für reibungslose Kommunikation. Kooperation wird bei mangelnder Vorhersagbarkeit der Handlungen der anderen Seite immer unwahrscheinlicher und der Kooperationsaufwand wird immer höher. Diese Folgen werden von den Beteiligten allerdings oft ignoriert, um die »Kosten« ihres defektiven Verhaltens, die sie selbst in der Zukunft zu tragen haben, nicht realistisch beurteilen zu müssen. In Fällen einer solcherart – in der Vertrauensbasis, der Verlässlichkeit der Reaktionen der Gegenseite und damit hinsichtlich der Reibungslosigkeit und schließlich des Aufwandes – beeinträchtigten Kommunikation hat man es mit einer latenten respektive mehr oder weniger offenen Konfliktsituation zu tun.
Die Stärke der Konflikte hängt dabei von einer Vielzahl rationaler Faktoren wie z.B. ökonomischer Ungleichheiten und irrationaler Faktoren wie z.B. Gefühlen der Unsicherheit und des Bedrohtseins ab.11 Ist ein Individuum oder eine Gruppe in einer Situation gestörter Kooperation oder gestörten Vertrauens dem anderen Individuum oder der anderen Gruppen asymmetrisch überlegen, dann wird es oder sie vor dem Hintergrund der beeinträchtigten Kommunikation eigene Interessen umso hemmungsloser einseitig und unter Umständen auf Kosten der anderen durchsetzen. Die stärkere Seite diktiert zudem vielfach auch einseitig den Kommunikationsstil, dem sich die unterlegene Partei dann wiederum oft nur noch durch Verweigerung entgegenstellen zu können meint.
Im anderen Fall einer erfolgreichen und gewinnbringenden Kooperation der Beteiligen verhält es sich gerade andersherum: Der kommunikative Aufwand nimmt immer mehr ab, da die Verlässlichkeit des Gegenübers immer weniger in Frage gestellt und seine Reaktionen immer zuverlässiger vorhersagbar werden.
Gewinn ebenso wie Verlust sind hier also – zumindest zunächst – nicht im ökonomisch-pekuniären Sinn zu verstehen, sondern in Begriffen des subjektiv lohnenden und damit relativen Aufwands und Erfolgs beziehungsweise Misslingens von Kommunikationsprozessen einschließlich der damit einhergehenden Prozesse von Vertrauensbildung und -festigung beziehungsweise -verlust. Der Begriff ›lohnender Kommunikation‹ ist damit im Sinne Max Webers als wertneutral zu betrachten. Individuelle Auffassungen des situativ Lohnenden können somit vollkommen subjektiv sein und objektiv betrachtet durchaus fragwürdige Ziele wie zum Beispiel die des Überredens, Überrumpelns oder Hintergehens implizieren.
Die im konfliktlinguistischen Paradigma verankerte nicht-reduktive Sicht von Kommunikation eröffnet damit Perspektiven auf neue linguistisch-kommunikationstheoretische Problemkomplexe und Fragestellungen wie die hier thematisierte kommunikative Unerreichbarkeit von Individuen oder ganzen Gruppen in Institutionen, Unternehmen oder soziokulturell komplexen Umfeldern wie mehrsprachigen Metropolen. Darüber hinaus fundiert eine solche Sicht eine dringend auszubildende kulturwissenschaftliche Theorie des Gewinns, die Kommunikation als die zentrale und grundlegende Kategorie von Kulturbildung, -erhalt und -fortentwicklung ebenso wie aller interkulturellen Kontakt- und Austauschprozesse erkennt. Die Kulturtheorie des Gewinns muss somit darauf abzielen, Kommunikationsprozesse einschließlich ihrer interkulturellen Dimensionen im hier skizzierten Sinn zu untersuchen und zu verstehen. Dass eine solche ausgebaute kulturwissenschaftliche Gewinntheorie mit der Untersuchung lohnender Kommunikation nicht nur gesellschaftlich, politisch und im Hinblick auf interkulturelle Verständigung, sondern auch ökonomisch hochrelevant ist, versteht sich von selbst, wenn einem klar ist, dass Kommunikation unter anderem kognitive, emotionale, zeitliche und materielle Ressourcen beansprucht.
Die Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen lohnender Kommunikation mit Blick auf eine kulturwissenschaftliche Gewinntheorie ist also weiter zu verfolgen. Will man sich den betreffenden Problemen stellen, dann ist vordringlich eine äußerst prekäre Facette des stabilisierenden Faktors langfristig erfolgreicher Kommunikationskooperation zu reflektieren. Hierzu sollen im Folgenden erste Schritte skizziert werden.
Denn Vorhersagbarkeit des Verhaltens geht allerdings mit einer hoch problematischen Kehrseite der Medaille einher: Unterstützt wird diese nämlich durch die im Sozialisationsprozess erworbenen, gesellschaftlichen und kommunikativen Normen, die erheblich zur Vorhersagbarkeit eigenen und fremden Verhaltens beitragen. Von diesem Grundgedanken eines vorhersagbaren, normorientierten Verhaltens gehen daher die meisten soziolinguistischen Richtungen und zwar in impliziter oder expliziter Orientierung am Strukturfunktionalismus Talcott Parsons aus. Diesen Punkt hat Glyn Williams in einer umfangreichen Studie aus dem Jahr 1992 herausgearbeitet und fundiert kritisiert. Er betont dabei, dass die betreffenden soziolinguistisch beschreibbaren Erwartungsstrukturen mit sozialen Rollen und Stellungen korrelieren. Die spezifischen Rollen werden wiederum durch das Wertesystem einer Gesellschaft beeinflusst, so dass sie den Anstrich der »Normalität« erhalten können und dann entsprechende Verhaltensweisen beziehungsweise schicht- und rollenkonforme Kommunikationsmuster geradezu erwartet werden.
Hierin liegt ein ganz entscheidender Punkt für weiterführende Überlegungen: Denn gerade die Verfestigung von Handlungs- und Verhaltensformen wie der kommunikativen Unerreichbarkeit, die dann mit der Erwartbarkeit kommunikativer Verweigerung einhergeht, birgt die Gefahr, dass der Zustand als gegeben hingenommen wird und es so zur Ausbildung und dauerhaften Etablierung von Parallelgesellschaften kommt.
Man hat es also mit einem Dilemma zu tun: Einerseits behindert Defektion langfristig die Kommunikation, indem sie das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der anderen Seite und die Vorhersagbarkeit ihres Verhaltens untergräbt. Und andererseits gehen die die Kooperation begünstigenden Verhaltensnormen mit sozialen Rollen einher, die das jeweils erwartete übliche Verhalten einschließlich der betreffenden sozialen Ungleichheiten sogar zu verfestigen drohen. Kooperation hat so gesehen unter Umständen eine zementierende Funktion im Hinblick auf bestehende Ungleichheiten. Jeder fügt sich – mit anderen Worten – in seine sowohl soziale als auch kommunikative Rolle.
Sollte Defektion dann plötzlich in einem wesentlich positiveren Licht zu sehen sein? Zumal kurzfristig gesehen ein starker Anreiz zu defektieren besteht, da man ja nichts zu verlieren hat?
Es gilt also, den unter Umständen Ungleichheiten verfestigenden und insofern problematischen Folgen normangepasster Kooperation ebenso entgegenzuwirken wie dem Anreiz zur Defektion zu widerstehen. Dies wird am ehesten möglich sein, wenn
Das bedeutet, dass insbesondere bei sozial ungleichen oder in irgendeiner Weise kommunikativ asymmetrischen Parteien diese beiden Aspekte dauerhaft in überschaubare und realisierbare Bahnen gelenkt werden müssen. Kommunikativer Verweigerung wird also nur dann zu begegnen sein, wenn die Betreffenden die Chance auf einen Gewinn sehen, ihn zumindest von Zeit zu Zeit auch tatsächlich haben sowie die Anstrengungen, die dafür zu unternehmen sind, ihnen in angemessenem Rahmen erscheinen. Damit stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, um dies zu erreichen. Zunächst gilt es folglich zu klären, worin erstens der Kommunikationsaufwand konkret bestehen kann. Auf der jeweils schwächeren Seite können zum Beispiel folgende Faktoren den Aufwand in die Höhe treiben, wobei es sich natürlich um eine offene Liste handelt, in der nur einige mögliche Aspekte berücksichtigt werden können:
Auf der stärkeren Seite kann der Aufwand beispielsweise dadurch in die Höhe getrieben werden,
Was zweitens die Perspektive auf den lohnenden Gewinn betrifft, so gilt generell, dass beide Seiten subjektive oder objektive Erfolgserlebnisse brauchen, vor allem zunächst aber die schwächere, da sie im Allgemeinen nicht nur zur Kommunikation nicht bereit, sondern auch dazu nicht in der Lage sein dürfte, so dass die Hürden zur lohnenden Kommunikation für sie höher sein können als für die stärkere Seite.
Vor diesem Hintergrund werden die weiteren Überlegungen dahin gehen müssen, wie die beiden Punkte des subjektiv angemessenen Aufwands und des Gewinns für beide Seiten zu gewährleisten sind. Im Zentrum muss damit die Befähigung aller Beteiligten stehen, sich der Kommunikation weder durch Verweigerung zu entziehen, noch durch reine Normen- und Rollenkonformität bestehende Asymmetrien zu bestätigen. Dies impliziert, dass dem Vermögen, insbesondere schwierige Kommunikationssituationen aller Art zu meistern, größte Aufmerksamkeit zu schenken ist und sich hier nicht auf Goodwill-Appelle etwa an das Empathievermögen und die Bereitschaft zum Perspektivwechsel zurückzuziehen. Hierin bestehen wichtige Aufgaben einer wohlverstandenen, unter anderem an Grundlegungen rhetorischer Anthropologie, dem impliziten und daher überhaupt schwer zu versprachlichenden Wissen sowie an der Soziosemiotik der Emotionen orientierten Kommunikationsforschung und -schulung.12 Hinzuweisen ist hier auch auf die spezifische Form des Wort-ergreifens und der Verlautbarung, die mittels literarischer Texte realisiert werden kann. Denn die literarische Äußerung kann gerade denjenigen eine Stimme verleihen, die sie sonst nicht erheben beziehungsweise deren Stellungnahmen ändernfalls überhört werden. Deswegen sind zum Beispiel Werke aus dem naturgemäß mit unscharfen Grenzen versehenen Feld der interkulturellen Literatur sorgfältig zu rezipieren. Berücksichtigt man ferner, daß in der aktuellen Soziologie davon ausgegangen wird, daß bis heute keine integrierte Migrationstheorie existiert, dann gebührt etwa literarischen Texten, die Migrationserfahrungen mit den individuellen Migrationsursachen, -wegen und -folgen narrativ zugänglich machen, besondere Aufmerksamkeit (vgl. Oswald 2007: 85f.).
Abzuzielen ist bei der Ausformulierung einer angemessenen Kulturtheorie auf die Entwicklung des Begriffs einer Aufwand und Gewinn in Anschlag bringenden Cooperation awareness, die sich insbesondere im Fall komplexer, mehrsprachiger und soziokulturell schwieriger Kommunikationsgegebenheiten zu bewähren hat.
1 | Hier ist auf die Wissenssoziologie und Wissensforschung zu verweisen, deren aktueller Stand in dem gleichnamigen 2007 von Rainer Schützeichel herausgegebenen Handbuch breit dokumentiert ist. In diesem Band legt Thomas Brüsemeister dar, in welcher Weise – nicht nur in Klassen-, sondern sehr wohl auch modernen Wissensgesellschaften – Wissensformen und soziale Ungleichheit in Zusammenhang stehen. Brüsemeister konzentriert sich dabei auf schulische Ungleichheiten, die seiner Ansicht nach vor allem auf die Ausgestaltung des Bildungssystems zurückzuführen sind (vgl. Brüsemeister 2007: 631). Mit Johan Galtung kann man hierbei auch von struktureller und unter Umständen sogar kultureller Gewalt sprechen, vgl. z.B. Galtung 1988 und 2004.
2 | Vgl. Grice 1975; Habermas 1981 u. 1983.
3 | Bei dem informationstechnischen Modell von Shannon und Weaver aus dem Jahr 1949 wurde bekanntlich die Ebene der Semantik ausgeklammert. Dies hatte zur Folge, dass in vielen Adaptionen des Modells an menschliche Kommunikation allein die konventionelle und denotative Bedeutung der natürlichen Sprache berücksichtigt wurde. So kam es zur Akzentuierung der Gemeinsamkeiten der Lebenswelt. Außerdem ist charakteristisch, dass die Bedeutungsvielfalt im Zeichen gebündelt und – uniformiert – wird. Man kann dies so verstehen, dass der Mensch sein Mitteilungsbedürfnis diszipliniert, indem er sich an konventionelle Strategien der Versprachlichung hält. – Eine zweite, entgegengesetzte kulturtheoretische Richtung stellen poststrukturalistische Orientierungen dar. Sie zielen mit dem von Jacques Derrida geprägten Begriff der ›Dekonstruktion‹ auf frei fluktuierende Bedeutungen ab (vgl. Derrida 1983). Hier wird die Möglichkeit, sprachliche Semantik überhaupt eindeutig zu fixieren, fraglich. Es geht stattdessen um hochgradig variable Bedeutungszuschreibungen. Bei beiden Strömungen handelt es sich um sehr spezifische Standpunkte: eine technizistisch-reduktive Auffassung im ersten Fall und eine sich Verbindlichkeiten entziehende, polyseme Auffassung von Bedeutung im zweiten. Im ersten Modell wird das kommunikative Handeln in seiner subjektiven Sinnhaftigkeit vernachlässigt. Kulturelle und konnotative Merkmale werden nicht erfasst, womit auch alle Formen kommunikativer Verständigungsprobleme und Verweigerung aus dem Fokus herausfallen. – Im zweiten Modell wird dagegen die soziale Verbindlichkeit kommunikativen Handelns vernachlässigt. Kulturübergreifender Austausch wird damit ausgeklammert. Dieser auf Differenz angelegte Ansatz legt vielmehr die Inkommensurabilität – oder Unvergleichbarkeit – verschiedener Kulturen nahe und lässt die Grenzen zwischen solchen Schwierigkeiten, die im Kommunikationsakt begründet sind, und der Interaktionsverweigerung verschwimmen.
4 | Vgl. die beiden Bände der Handbücher für Sprache und Kommunikation zur Kontaktlinguistik, in denen sich nur ein einziger, kurzer Artikel zur »Konfliktlinguistik« befindet (vgl. Goebl u.a. 1996f.). Vgl. zur Diskurstheorie Schiewer 2012 (i.E.).
5 | Vgl. Ungeheuer 1972 u. 1987.
6 | Vgl. zum Beispiel die Untersuchung von Spiegel 1995.
7 | Vgl. hierzu etwa Bott-Bodenhausen 1996; Butler 2006; Herrmann u.a. 2007.
8 | Hier wäre auch an die Analyse der Drohung des Soziologen Helmut Popitz zu denken, der deutlich macht, dass ausgerechnet die vermeintlich symmetrische Kommunikation der Einvernehmlichkeit nicht ohne implizite Drohungen auskommt, die dazu dienen, Verweigerung zu unterdrücken (vgl. Popitz 2004: 79ff.)
9 | Das Schema ist eng orientiert an Fiedler 2004: 106.
10 | Vgl. hierzu und zum Folgenden Pym 1995.
11 | Unter anderem hat dies Weber 2003 in seinem konfliktlinguistischen Ansatz betont.
12 | Vgl. zur rhetorischen Anthropologie Kopperschmidt 2000 und insgesamt hierzu Schiewer 2009 u. 2010.
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